Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
seltsam, aber manchmal so lebhaft, daß Sie dann immer den treffenden Ausdruck fanden und sich genau dafür interessierten, was mich interessierte. Wenn Sie ›Student‹ sind, dann können Sie wirklich nett und originell sein. Andere Rollen stehen Ihnen, wie mir scheint, weniger zu Gesicht«, fügte sie mit einem reizenden, verschmitzten Lächeln hinzu. »Wissen Sie noch, wie wir uns manchmal stundenlang nur über Zahlen unterhalten haben, wie wir rechneten und planten, wie wir uns Gedanken über die Anzahl unserer Schulen und die Entwicklung der Bildung machten? Wir haben die Morde und Kriminalfälle gezählt und mit den positiven Nachrichten verglichen … Wir wollten wissen, worauf das alles hinausläuft und was uns schließlich in der Zukunft erwartet. Ich bin in Ihnen der Aufrichtigkeit begegnet. In der großen Welt pflegt man mit uns Frauen niemals auf diese Weise zu sprechen. Vorige Woche hatte ich den Fürsten …ow nach Bismarck gefragt, weil ich mich sehr für ihn interessiere, aber mir selbst keine Meinung bilden kann, nun, stellen Sie sich vor, er nahm neben mir Platz und begann mir zu erzählen, sogar sehr ausführlich, aber immer mit einem ironischen Unterton und einer für mich unerträglichen Herablassung, mit der gewöhnlich ›große Männer‹ mit uns Frauen verkehren, wenn wir ›unsere Bedürfnisse überschreiten‹ … Und wissen Sie noch, wie wir beide uns einmal wegen Bismarck beinahe in die Haare geraten sind? Sie wollten mir beweisen, daß Sie eine eigene Idee hätten, die ›Bismarck weit überrundet‹.« Plötzlich lachte sie. »Ich bin in meinem Leben nur zwei Menschen begegnet, die mich völlig ernst nahmen: meinem seligen Mann, der ein sehr, sehr kluger und … vor-neh-mer Mensch war«, sagte sie nachdrücklich, »und noch – Sie wissen selbst, wem …«
»Werssilow!« rief ich. Bei jedem ihrer Worte stockte mir der Atem.
»Ja, ich habe ihm sehr gern zugehört und war schließlich ihm gegenüber vollkommen … vielleicht allzu aufrichtig, aber gerade da traute er mir nicht mehr!«
»Er traute Ihnen nicht?«
»Ja. Mir hat doch nie jemand getraut.«
»Aber Werssilow, Werssilow!«
»Er hat mir nicht nur einfach nicht getraut«, sagte sie mit niedergeschlagenen Augen und einem seltsamen Lächeln, »sondern damit gerechnet, ich trüge ›sämtliche Laster‹ in mir.«
»Von denen Sie kein einziges haben!«
»O nein, auch ich habe einige.«
»Werssilow hat Sie nicht geliebt, deshalb hat er Sie auch nicht verstanden!« rief ich mit blitzenden Augen.
Ein Zucken lief über ihr Gesicht.
»Lassen wir das, und sprechen wir niemals wieder von … von diesem Menschen …«, fügte sie heftig und mit großem Nachdruck hinzu. »Aber nun genug; es ist Zeit.« (Sie erhob sich, um zu gehen.) »Also, vergeben Sie mir oder nicht?« fragte sie, ohne mich aus den Augen zu lassen.
»Ich … Ihnen … vergeben! Hören Sie, Katerina Nikolajewna, nehmen Sie es mir nicht übel: Stimmt es, daß Sie heiraten werden?«
»Es ist noch nicht endgültig entschieden«, antwortete sie rasch, gleichsam erschrocken und verlegen.
»Ist er ein guter Mensch? Verzeihen Sie, verzeihen Sie mir diese Frage!«
»Ja, ein sehr guter …«
»Sie brauchen nicht mehr zu antworten, Sie brauchen mich einer Antwort nicht zu würdigen! Ich weiß doch, daß solche Fragen aus meinem Munde unmöglich sind! Ich wollte nur wissen, ob er Ihrer würdig ist, aber ich werde schon selbst alles über ihn in Erfahrung bringen.«
»Ach, hören Sie!« stieß sie erschrocken hervor.
»Nein, ich tu’s nicht, ich tu’s nicht. Ich werde vorübergehen … Aber eines muß ich Ihnen noch sagen: Gott gebe Ihnen alles erdenkliche Glück, jedes, das Sie sich wählen … dafür, daß Sie mir jetzt so viel Glück geschenkt haben, in dieser einzigen Stunde! Sie sind von jetzt an für ewig in meiner Seele eingeprägt. Ich habe einen Schatz gefunden: den Gedanken an Ihre Vollkommenheit. Ich argwöhnte Kabale, plumpe Koketterie und war unglücklich … weil ich diesen Gedanken mit Ihnen nicht in Einklang bringen konnte … In den letzten Tagen habe ich Tag und Nacht gegrübelt; und plötzlich ist alles sonnenklar! Als ich hier eintrat, glaubte ich, ich würde einen jesuitischen Scharfsinn, Schlauheit, eine hinterlistige Schlange als Erinnerung mitnehmen, fand aber statt dessen Ehrgefühl, Lauterkeit und einen Studenten vor … Sie lachen? Meinetwegen, meinetwegen! Sie sind eine Heilige, und Sie können niemals über Heiliges
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