Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
später zeigen sollten: Drei oder vier Spieler in unserer unmittelbaren Nähe hatten unseren Wortwechsel verfolgt und mich, als sie sahen, daß ich so leicht nachgab, für den Dieb gehalten. Es war genau Mitternacht; ich ging in das nächste Zimmer, überlegte, prüfte noch einmal den neuen Plan und wechselte nach meiner Rückkehr beim Bankhalter meine Scheine in Halb-Imperiale um. Somit hatte ich mehr als vierzig Münzen in der Hand. Ich baute sie in zehn Türmchen vor mir auf und war entschlossen, zehnmal hintereinander auf Zéro zu setzen, jedes Mal vier Halb-Imperiale, einen nach dem anderen. “Gewinne ich – ist es mein Glück, verliere ich – um so besser; dann werde ich nie wieder spielen.” Ich muß sagen, daß in diesen letzten zwei Stunden Zéro noch kein einziges Mal gekommen war, so daß am Ende niemand mehr auf Zéro setzte.
Ich setzte stehend, wortlos, mit gerunzelter Stirn und zusammengebissenen Zähnen. Schon nach dem dritten Einsatz rief Serschtschikow laut Zéro aus, das heute noch kein einziges Mal gekommen war. Man zahlte mir vierzig Halb-Imperiale in Gold aus. Mir waren noch sieben Einsätze geblieben, und ich fuhr damit fort, während alles um mich herum sich im Kreise zu drehen und zu tanzen begann.
»Kommen Sie rüber!« rief ich über den ganzen Tisch einem Spieler zu, neben dem ich vorhin gesessen hatte, einem grauhaarigen Herrn im Frack mit einem Schnurrbart und kupferrotem Gesicht, der mit unbeschreiblicher Geduld nun schon seit einigen Stunden kleine Summen setzte und jedes Mal verlor – »Kommen Sie rüber! Hier hat man Glück!«
»Meinen Sie mich?« antwortete der Schnauzbart mit einer bedrohlichen Verwunderung vom anderen Tischende her.
»Jawohl, Sie! Dort werden Sie alles bis aufs Hemd verlieren!«
»Das geht Sie nichts an, ich bitte, mich nicht zu belästigen!«
Aber ich konnte mich nicht mehr beherrschen. Mir gegenüber, auf der anderen Tischseite, saß ein älterer Offizier. Als er meinen Gewinn sah, murmelte er seinem Nachbarn zu:
»Merkwürdig: Zéro. Nein, ich werde mich nicht zu Zéro entschließen.«
»Entschließen Sie sich, Oberst!« rief ich ihm zu, während ich den neuen Einsatz vorbereitete.
»Ich bitte, mich in Ruhe zu lassen, wenn’s beliebt, und Ihre Ratschläge für sich zu behalten«, seine Antwort war klipp und klar. »Sie schreien hier zu laut.«
»Aber ich will Ihnen doch nur einen guten Rat geben; wir können ja, wenn Sie es wünschen, darauf wetten, daß gleich wieder Zéro kommt: Zehn Goldene, hier, ich setze, wünschen Sie das?«
Und ich schob zehn Halb-Imperiale vor.
»Zehn Goldene, pari? Kann ich«, sagte er trocken und streng. »Ich wette gegen Sie, daß Zéro nicht herauskommt.«
»Zehn Louisdors, Oberst.«
»Was heißt das, zehn Louisdors?«
»Zehn Halb-Imperiale, Oberst, und nach dem hohen Stil – Louisdors.«
»Dann müssen Sie das auch sagen, Halb-Imperiale, und solche Scherze mit mir unterlassen.«
Ich hatte selbstverständlich nicht gehofft, die Wette zu gewinnen: Sechsunddreißig Chancen gegen eine, daß Zéro nicht kommen wird; ich hatte die Wette vorgeschlagen erstens, um zu imponieren, und zweitens, weil ich so gern, womit auch immer, alle für mich einnehmen wollte. Ich merkte allzu genau, daß mich hier aus irgendeinem Grunde niemand mochte und daß alle mich dies mit besonderem Vergnügen fühlen ließen. Das Roulette drehte sich – und zum allgemeinen Erstaunen kam plötzlich wieder Zéro! Ein allgemeiner Aufschrei. Von nun an war ich von dem Erfolg völlig benebelt. Wieder wurden mir hundertvierzig Halb-Imperiale vorgezählt. Serschtschikow fragte mich, ob ich nicht lieber einen Teil in Banknoten haben wollte, aber ich murmelte etwas Unverständliches vor mich hin, weil ich mich buchstäblich nicht mehr ruhig und sachlich äußern konnte. Mich schwindelte, und meine Beine fühlten sich ganz schwach an. Ich fühlte plötzlich, daß ich im nächsten Augenblick ein schreckliches Risiko eingehen könnte; und außerdem überkam mich der Wunsch, noch irgend etwas anzustellen, eine weitere Wette vorzuschlagen oder dem ersten besten ein paar Tausend in die Hand zu drücken. Mechanisch scharrte ich mit der flachen Hand meine Haufen von Scheinen und Goldmünzen zusammen und brachte es nicht fertig, das Geld zu zählen. In diesem Augenblick entdeckte ich plötzlich hinter mir den Fürsten und Darsan: Sie waren soeben von ihrem Bankhalter gekommen, nachdem sie dort, wie ich später erfuhr, alles bis auf die nackte Haut
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