Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
das war es, was ich mir im stillen immer wiederholte. Da ich bis heute der Überzeugung bin, daß man beim Hasardspiel, bei völliger innerer Ruhe des Charakters, in der die ganze Schärfe von Verstand und Berechnung erhalten bleibt, den plumpen, blinden Zufall fast notwendigerweise überwinden kann und gewinnen muß – war es damals mehr als folgerichtig, daß ich immer gereizter wurde, weil ich nicht durchhielt und ich mich wie ein kleiner Junge fortreißen ließ. »Ich, der ich mich gegen den Hunger behaupten konnte, versage nun bei einer solchen Lappalie!« – das war es, was mich reizte. Dazu kam noch das Bewußtsein, daß in mir, wie lächerlich und nichtig ich auch erscheinen mochte, jener Schatz an Kraft verborgen lag, der einst sie alle zwingen würde, ihre Meinung über mich zu ändern, das Bewußtsein – das schon damals, seit meinen fast noch kindlichen Jahren der Erniedrigung – mein einziger Lebensquell gewesen war, mein Licht und meine Würde, meine Waffe und mein Trost, ohne den ich möglicherweise mir schon als Kind das Leben genommen hätte. Wie sollte ich eben darum nicht gegen mich selbst gereizt sein, als ich nun sah, in welch klägliches Geschöpf ich mich am Spieltisch verwandelte? Deshalb war es mir nun auch nicht mehr möglich, das Spielen aufzugeben: Jetzt sehe ich all das ganz klar. Außer an diesem, dem wichtigsten Grund, lag es auch an gekränkter Eigenliebe: Das Verlieren erniedrigte mich vor dem Fürsten, vor Werssilow, auch wenn dieser es für unter seiner Würde hielt, auch nur ein Wort darüber zu verlieren, sogar vor Tatjana – so schien es mir, so empfand ich es. Schließlich muß ich noch ein Geständnis machen: Ich war damals schon verdorben; es fiel mir bereits schwer, auf ein Essen mit sieben Gängen im Restaurant zu verzichten, auf Matwej, auf den Englischen Laden, auf die Meinung meines Coiffeurs, nun, auf alles, was so dazugehört. Ich war mir dessen auch schon damals bewußt, winkte aber ab; jetzt aber, beim Niederschreiben, muß ich erröten.
III
Ich kam also allein, fand mich in einer unbekannten Menschenmenge, suchte mir zuerst einen Platz an einer Tischecke, begann mit kleinen Beträgen und verbrachte so an die zwei Stunden, ohne mich zu rühren. Diese zwei Stunden waren weder dies noch das, weder kalt noch warm. Ich ließ erstaunliche Chancen vorbeigehen und gab mir alle Mühe, nicht wütend zu werden, sondern mich durch Kaltblütigkeit und Selbstsicherheit zu behaupten. Das Ergebnis war, daß ich in diesen zwei Stunden weder gewann noch verlor: Von den dreihundert Rubeln hatte ich zehn bis fünfzehn verspielt. Dieses klägliche Resultat machte mich wütend, und außerdem war noch etwas äußerst Widerwärtiges vorgefallen. Ich wußte, daß an solchen Roulettetischen sich gelegentlich Diebe einstellen, das heißt, nicht eigentlich Straßendiebe, sondern einfach bekannte Spieler. Ich bin, zum Beispiel, davon überzeugt, daß der allgemein bekannte Spieler Aferdow ein Dieb ist; auch jetzt noch treibt er sein Unwesen in der ganzen Stadt: Kürzlich bin ich ihm in einem eigenen Ponygespann begegnet, und doch ist er ein Dieb und hat mich bestohlen. Von dieser Geschichte später; dieser Abend war erst das Präludium: Ich saß diese ganzen zwei Stunden an der Tischecke, und neben mir, links, befand sich die ganze Zeit ein schmalbrüstiger Geck, vermutlich ein kleiner Jude; er soll übrigens irgendwo an irgend etwas beteiligt sein, sogar irgend etwas schreiben und veröffentlichen. In allerletzter Minute gewann ich plötzlich zwanzig Rubel. Die zwei roten Scheine lagen vor mir, und plötzlich sehe ich, wie dieser kleine Jude die Hand ausstreckt und seelenruhig einen meiner Scheine zu sich zieht. Ich gebot ihm Einhalt, aber mit dreister Miene und ohne die Stimme im geringsten zu erheben erklärte er, das sei sein Gewinn, er habe soeben gesetzt und gewonnen; er zeigte sich sogar keineswegs bereit, das Gespräch fortzusetzen, und kehrte mir den Rücken zu. Ausgerechnet in dieser Sekunde befand ich mich in einer ungünstigen Verfassung: Gerade war mir eine bedeutende Idee gekommen, ich zuckte also mit den Schultern, erhob mich rasch und ging, verzichtete auf eine Auseinandersetzung und gönnte ihm den roten Schein. Es wäre auch schwierig gewesen, diesem dreisten kleinen Dieb gegenüber auf meinem Recht zu beharren, weil ich den richtigen Moment verpaßt hatte: Das Spiel war schon weitergegangen. Aber ich hatte damit einen riesigen Fehler begangen, dessen Folgen sich
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