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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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hatte, und er – er kannte mich einfach nicht mehr. Noch schlimmer: Er warf mir einen Blick gespielter Verständnislosigkeit zu und ging lächelnd weiter. Deshalb dauerte es nicht lange, bis ich dort nicht mehr hinging und mir zur Gewohnheit machte, eine Kloake zu besuchen – anders kann ich es nicht nennen.
    Man spielte dort Roulette, ziemlich unbedeutend, wenig besucht, in der Wohnung irgendeiner Mätresse, die sich allerdings niemals im Spielsaal zeigte. Dort ging es furchtbar ungezwungen zu, obwohl dieser Zirkel von Offizieren und reichen Kaufleuten besucht wurde, aber das Ganze war ziemlich schmierig, was übrigens manche besonders anzog. Außerdem hatte ich dort häufig Glück. Aber auch hier fühlte ich mich abgestoßen, besonders nach einer ekelhaften Geschichte, die mitten in einem Spiel anfing und mit einer Prügelei zwischen zwei Spielern endete, und besuchte seitdem Serschtschikow, bei dem mich wiederum der Fürst eingeführt hatte. Serschtschikow war Stabs-Rittmeister a.D., und der Ton an seinen Abenden war ausgesprochen erträglich, militärisch, bis zur Peinlichkeit empfindlich in Einhaltung aller Anstandsformen, kurz angebunden und sachlich. Spaßvögel zum Beispiel und große Zecher waren dort nicht anzutreffen. Außerdem war die Bank, die er selbst hielt, sogar sehr ernst zu nehmen. Man spielte Pharao und Roulette. Bis zu diesem Abend, dem fünfzehnten November, war ich nur ein paar Mal dort gewesen, aber Serschtschikow schien mein Gesicht bereits zu kennen; Bekannte hatte ich dort noch nicht. Ausgerechnet an diesem Abend waren der Fürst und Darsan erst gegen Mitternacht erschienen, sie kamen von jener Spielbank feiner Schnösel, der ich den Rücken gekehrt hatte: Darum war ich an diesem Abend ein Unbekannter unter Fremden.
    Hätte ich einen Leser, und hätte dieser Leser all das gelesen, was ich bereits von meinen Abenteuern aufgeschrieben habe, so brauchte ich ihm jetzt nicht mehr zu erklären, daß ich für gesellschaftliche Formen absolut nicht geschaffen bin. Vor allem ist es mir nicht gegeben, mich in Gesellschaft zu benehmen. Sobald ich irgendeinen Raum mit vielen Menschen betrete, habe ich das Gefühl, daß alle Blicke mich elektrisieren. Ich habe das entschiedene Gefühl, mich zu verkrampfen, physisch zu verkrampfen, sogar an Orten wie im Theater, von privaten Einladungen ganz zu schweigen. Ich habe es nicht fertiggebracht, bei allen diesen Rouletteclubs und Menschenansammlungen eine halbwegs anständige Haltung anzunehmen: Einmal sitze ich da und mache mir die größten Vorwürfe, weil ich viel zu schlaff und viel zu höflich bin, ein andermal springe ich plötzlich auf und begehe eine Unverschämtheit. Indessen legten die ausgekochtesten Taugenichtse, wollte man sie mit mir vergleichen, dort eine fabelhafte Haltung an den Tag – und das war es, was mich am meisten aufbrachte, so daß ich mehr und mehr meine Fassung verlor. Offen gesagt wurde mir diese ganze Gesellschaft und, wenn ich schon offen sein soll, selbst der Gewinn am Ende widerlich und eine Qual, schon damals. Eine Qual – wirklich. Natürlich empfand ich auch einen außerordentlichen Genuß, aber dieser Genuß war durch die Qual gefiltert; all das, eben diese Menschen, das Spiel und vor allem ich mit ihnen, kam mir grauenhaft schmutzig vor. »Sobald ich gewonnen habe, hat man mich dort gesehen!« wiederholte ich jedes Mal, wenn ich im Morgengrauen nach einer durchspielten Nach in meinem Zimmer einschlief. Und was den Gewinn betrifft: Bedenke man doch, daß ich Geld überhaupt nicht liebte! Das heißt, ich verzichte darauf, die nichtssagenden abgedroschenen Phrasen zu wiederholen, die bei solcher Gelegenheit üblich sind, ich hätte nämlich nur um des Spiels willen gespielt, um der Empfindungen willen, der Lust am Risiko, der Lust am Spiel und so weiter und so fort, auf keinen Fall wegen des pekuniären Gewinns. Geld hatte ich schrecklich nötig, und obschon dies nicht mein Weg war, nicht meine Idee, so oder anders, ich hatte mich damals entschlossen, es auf eine Probe ankommen zu lassen und, um der Erfahrung willen, auch diesen Weg auszuprobieren. Hier verwirrte mich ein schwerwiegender Gedanke: “Du hast doch den Beweis erbracht, daß du ohne weiteres Millionär werden kannst, da du den dazu erforderlichen starken Charakter besitzt; du hast den Charakter bereits verschiedenen Proben unterworfen; also bewähre dich auch jetzt: Solltest du denn für das Roulette mehr Charakter benötigen als für deine Idee?” –

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