Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
gebeten, aber nur, weil ich nicht dazu kam; sie selbst hinderte mich daran – natürlich nicht buchstäblich, sondern in völlig durchsichtigen und klaren, ›zartfühlenden‹ Umschreibungen gab sie mir zu verstehen, daß diese Idee künftig ausgeschlossen sei.«
»Also haben Sie doch keinen Heiratsantrag gemacht, und Ihr Stolz hat keinen Schaden genommen!«
»Wie können Sie das so auffassen! Und das Urteil meines eigenen Gewissens, und Lisa, die ich betrogen habe, und … zu verlassen bereit war? Und das Gelübde, das ich vor mir selbst und vor der Ahnenreihe abgelegt habe – ein neues Leben zu beginnen und alle früheren Schurkereien zu sühnen! Ich flehe Sie an, sagen Sie ihr nichts davon. Vielleicht ist es das einzige, was sie mir nicht vergeben würde! Ich bin seit gestern krank. Und vor allem, jetzt ist schon alles zu Ende, und der letzte der Fürsten Sokolskij wird sich ins Zuchthaus begeben. Arme Lisa! Ich habe den ganzen Tag dringend auf Sie gewartet, Arkadij Makarowitsch, um Ihnen, als Lisas Bruder, etwas zu eröffnen, was sie noch nicht weiß. Ich bin ein Krimineller und war an der Herstellung falscher Aktien der –schen Eisenbahn beteiligt.«
»Auch das noch! Wieso ins Zuchthaus?« Ich sprang auf und starrte ihn voll Entsetzen an. Auf seinem Gesicht lag tiefster, düsterer, auswegloser Gram.
»Setzen Sie sich«, sagte er und ließ sich selbst in den Lehnstuhl mir gegenüber nieder. »Erstens das Faktum: Vor etwas mehr als einem Jahr, eben in dem Sommer von Ems, von Lidija und Katerina Nikolajewna, und später von Paris, eben zu der Zeit, da ich mich für zwei Monate nach Paris begab und in Paris selbstverständlich nicht mit dem Geld auskam. Ausgerechnet da tauchte Stjebelkow auf, den ich übrigens schon früher kannte. Er gab mir Geld und versprach, mir noch mehr zu geben, bat aber seinerseits um meine Hilfe: Er suchte einen Künstler, Zeichner, Graveur, Lithographen und so weiter, einen Chemiker und Techniker – zu bekannten Zwecken. Diese Zwecke deutete er sogar beim ersten Mal ziemlich unmißverständlich an. Und was weiter? Er kannte meinen Charakter – ich fand das alles nur amüsant. Es war nämlich an dem, daß ich noch von der Schulbank her jemand kannte; schon damals ein russischer Emigrant, der übrigens gar kein Russe war und irgendwo in Hamburg lebte. In Rußland war er schon einmal in eine Affäre mit gefälschten Dokumenten verwickelt gewesen. Und eben an diesem Menschen war Stjebelkow interessiert, brauchte aber eine Empfehlung und wandte sich deswegen an mich. Ich schrieb ihm ein paar Zeilen und vergaß es sofort. Später suchte er mich noch einmal auf und dann noch einmal, und jedesmal erhielt ich von ihm alles in allem an die dreitausend. Diese Angelegenheit war mir buchstäblich entfallen. Hier nahm ich die ganze Zeit bei ihm Geld auf, gegen Wechsel und Pfänder, er katzbuckelte vor mir wie ein Sklave, und plötzlich, gestern, höre ich von ihm zum ersten Mal, ich sei ein Krimineller.«
»Wann war das gestern?«
»Das war gestern, als wir uns vormittags im Kabinett anbrüllten, bevor Naschtschokin kam. Er hat es zum ersten Mal gewagt, und schon in vollkommen klaren Worten, mit mir von Anna Andrejewna zu sprechen. Ich erhob schon die Hand, um ihm eine Ohrfeige zu versetzen, aber er stand plötzlich auf und erklärte, ich sei mit ihm solidarisch und müsse bedenken, daß ich Mittäter sei und folglich ein ebensolcher Gauner wie er – kurz, es waren nicht genau diese Worte, aber es war dieser Sinn.«
»Was für ein Unsinn, das ist doch eine Phantasie?«
»Nein – keine Phantasie. Er war heute bei mir und hat es genauer erklärt. Diese Aktien sind längst im Verkehr und werden auch noch weiter in Umlauf gebracht, aber die ersten sind schon irgendwo aufgefallen. Natürlich, ich habe damit nichts zu tun, aber ›Sie haben doch damals geruht, mir dieses Briefchen aufzusetzen, wenn’s beliebt‹, das war’s, was mir Stjebelkow sagte.«
»Aber Sie wußten doch nicht, wozu, oder wußten Sie es schon?«
»Ich wußte es«, antwortete der Fürst leise und schlug die Augen nieder. »Sehen Sie, ich wußte es, und ich wußte es wiederum nicht. Ich habe gelacht und mich amüsiert. Ich dachte mir damals überhaupt nichts, zumal ich keine falschen Aktien brauchte und auch nicht vorhatte, welche herzustellen. Aber andererseits, diese dreitausend, die er mir damals gab, hat er mir nicht angerechnet, und ich habe es zugelassen. Übrigens, woher wollen Sie es wissen, vielleicht
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