Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
es ja, was mich zum neuen Leben wiedererweckte. Ich schwor mir, mich zu verändern, mein Leben in eine andere Bahn zu bringen, es vor mir selbst und vor ihr zu verdienen, und – und womit hat das geendet! Es endete damit, daß wir beide von Roulette zu Roulette fuhren und Spieler wurden; ich bin meiner Erbschaft erlegen, genoß meine Karriere, diese Menschen, die edlen Traber … ich quälte Lisa – oh, diese Schmach!«
Er rieb sich die Stirn mit der Hand und machte ein paar Schritte durchs Zimmer.
»Uns beide, Arkadij Makarowitsch, hat das russische Schicksal ereilt: Sie wissen nicht, was Sie tun sollen, und ich weiß nicht, was ich tun soll. Kaum gerät der Russe auch nur ein Haarbreit aus der üblichen, durch die Gewohnheit für ihn zum Gesetz gewordenen Bahn – und schon weiß er nicht mehr, was er tun soll. In der Bahn ist alles ganz klar: Einkommen, Rang, gesellschaftliche Stellung, Equipage, Besuche, Dienst, Gattin – und bei der leisesten Störung –, was bin ich? Ein dürres, vom Winde gejagtes Blatt. Ich weiß nicht, was ich tun soll! Die letzten zwei Monate war ich bemüht, mich in der Bahn zu halten, ich gewann die Bahn lieb, ich fühlte mich in der Bahn wohl. Sie kennen noch nicht die ganze Tiefe meiner hiesigen Verruchtheit: Ich habe Lisa geliebt, aufrichtig geliebt, und zu gleicher Zeit an die Achmakowa gedacht!«
»Ist das möglich?« rief ich schmerzlich betroffen. »Übrigens, Fürst, Sie haben mir gestern von Werssilow gesagt, er habe Sie zu einer Gemeinheit gegen Katerina Nikolajewna angestiftet?«
»Ich habe vielleicht übertrieben und mache mich mit meinem Argwohn gegen ihn ebenso schuldig wie auch in Ihrem Fall. Lassen Sie das. Ist es denn möglich, daß Sie denken, ich hätte diese ganze Zeit, seit Luga vielleicht, nicht einem hohen Lebensideal nachgestrebt? Ich schwöre Ihnen, daß es mich nie verlassen und mir stets vor Augen geschwebt hat, ohne in meiner Seele im geringsten an Schönheit zu verlieren. Den Schwur, den ich vor Lisaweta Makarowna getan habe, ein neues Leben zu beginnen, habe ich nie vergessen. Als Andrej Petrowitsch hier gestern vom Adelsstand sprach, hat er mir, seien Sie dessen versichert, nichts Neues gesagt. Mein Ideal ist klar und deutlich: Einige hundert Desjatinen Land (denn von der Erbschaft ist mir fast nichts mehr geblieben); dann ein vollkommener, der vollkommenste Bruch mit der großen Welt und der Karriere; ein Landhaus, die Familie und ich selbst – Ackerbauer oder etwas Ähnliches. Oh, in unserer Familie wäre das nichts Neues: Der Bruder meines Vaters hat eigenhändig gepflügt, mein Großvater ebenfalls. Wir sind ja nur tausendjährige Fürsten, von Uradel wie die Rohans, aber wir sind Bettler. Und deshalb würde ich auch meinen Kindern das Gebot hinterlassen: ›Denke dein Leben lang daran, daß du adlig bist, daß in deinen Adern das heilige Blut russischer Fürsten fließt, aber schäme dich nicht, daß dein Vater eigenhändig sein Land gepflügt hat: Er hat es eben fürstlich getan.‹ Ich würde ihnen kein Vermögen hinterlassen, außer diesem Flecken Land, aber für ihre höhere Bildung sorgen; das halte ich für meine Pflicht. Oh, dabei würde mir Lisa helfen. Lisa, die Kinder, die Arbeit, oh, wie oft haben wir davon geträumt, hier geträumt, in diesen Räumen, und ich? Zur selben Zeit dachte ich an die Achmakowa, ohne diese Person zu lieben, und an eine reiche, standesgemäße Ehe! Und erst gestern, nachdem Naschtschokin die Nachricht von diesem Bjoring gebracht hatte, habe ich mich entschlossen, Anna Andrejewna aufzusuchen.«
»Aber Sie haben sie doch aufgesucht, um eine Heirat auszuschließen? Das war doch ausgesprochen ehrenwert von Ihnen, meine ich?«
»Meinen Sie?« Er blieb vor mir stehen. »Nein, Sie kennen meine Natur noch nicht! Oder … oder ich kenne irgend etwas in mir selbst nicht: Weil es nicht meine Natur ist. Ich mag Sie aufrichtig, Arkadij Makarowitsch, und außerdem bin ich für diese letzten zwei Monate tief in Ihrer Schuld, deshalb möchte ich, daß Sie, als Lisas Bruder, alles erfahren: Ich habe Anna Andrejewna aufgesucht, um ihr einen Heiratsantrag zu machen, und nicht, um eine Heirat auszuschlagen.«
»Ist das möglich? Aber Lisa sagte …«
»Ich habe Lisa belogen.«
»Erlauben Sie: Sie haben also einen förmlichen Heiratsantrag gemacht, und Anna Andrejewna hat Sie abgewiesen? War es so? War es so? Die Einzelheiten sind für mich ungeheuer bedeutsam, Fürst.«
»Nein, um ihre Hand habe ich nicht
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