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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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um ihr einen Heiratsantrag zu machen. Ich konnte mein Gewissen angesichts meiner letzten, bereits feststehenden Entscheidung und ihrer Liebe nicht länger belasten und habe es ihr gestanden. Sie hat mir vergeben, sie hat mir alles vergeben, aber ich glaube ihr nicht; eine Vergebung ist es nicht; ich an ihrer Stelle könnte nicht vergeben.
Gedenken Sie meiner.
 
Ihr unglücklicher letzter Fürst Sokolskij.
    Ich lag genau neun Tage bewußtlos.

Dritter Teil
    Erstes Kapitel
    I
    Jetzt etwas ganz anderes.
    Ich kündige immer wieder an: »etwas anderes, etwas anderes«, und doch kritzele ich immer wieder nur über mich selbst. Indessen habe ich schon tausendmal erklärt, daß es mir keineswegs darum geht, mich selbst zu beschreiben; das war auch meine feste Absicht, als ich meine Aufzeichnungen begonnen habe: Ich kann mir nur zu gut denken, daß ich dem Leser völlig gleichgültig bin. Ich beschreibe und möchte auch andere beschreiben, nicht nur meine eigene Person, und wenn ich mich immer wieder aufdränge, so ist das nur ein bedauernswerter Fehler, der sich absolut nicht vermeiden läßt, wie sehr ich es mir auch wünsche. Vor allem finde ich es ärgerlich, daß der Eifer, mit dem ich meine eigenen Abenteuer beschreibe, als Anlaß für die Meinung dienen könnte, daß ich jetzt noch genau derselbe bin, der ich damals war. Der Leser dürfte sich übrigens erinnern, daß ich schon mehr als einmal ausgerufen habe: »Oh, wenn man das Einstige ändern und noch einmal von neuem beginnen könnte!« Ich hätte das nicht ausrufen können, wenn ich mich inzwischen nicht radikal geändert hätte und ein völlig anderer geworden wäre. Das ist sonnenklar; wenn sich nur jemand vorstellen könnte, wie überdrüssig ich all dieser Entschuldigungen und Vorreden bin, die ich alle Augenblicke sogar mitten in meine Aufzeichnungen hineinquetsche!
    Zur Sache.
    Nach der neuntägigen Bewußtlosigkeit erwachte ich damals wie neugeboren, aber immer noch unverbesserlich; von einer Wiedergeburt im üblichen Sinne zu sprechen ist übrigens ziemlich töricht, und sie wäre vielleicht heute völlig anders verlaufen. Die Idee, das heißt, das Gefühl, bestand abermals (wie schon tausendmal vorher) nur in dem Drang, sie alle zu verlassen, aber diesmal endgültig zu verlassen, anders wie einst, als ich tausendmal diesen Vorsatz gefaßt und immer wieder versagt hatte. Rachegefühle hatte ich nicht, ich schwöre – obwohl sie mich alle beleidigt hatten. Ich wollte sie einfach verlassen, ohne Widerwillen, ohne Flüche, aber mich verlangte nach eigener Kraft, diesmal nach der echten, die von keinem von ihnen und von niemand auf der ganzen Welt abhängig ist; denn es hatte nicht viel gefehlt, mich mit allem auf der Welt auszusöhnen! Ich notiere diesen damaligen Traum nicht als einen Gedanken, sondern als eine damals unabweisbare Empfindung. Es widerstrebte mir, diese in Worte zu fassen, solange ich das Bett hütete. Elend und kraftlos lag ich in Werssilows Zimmer, das sie für mich hergerichtet hatten, und mußte mit Unbehagen erkennen, welche unglaubliche Stufe der Kraftlosigkeit ich bereits erreicht hatte: Im Bett lag ein Strohhalm und kein Mensch, und zwar nicht nur krankheitshalber – und das empfand ich als beleidigend! Und da, aus der tiefsten Tiefe meiner Existenz, stieg unaufhaltsam ein Protest auf, und mir stockte der Atem vor einem Gefühl unendlich übertriebenen Hochmuts und maßloser Herausforderung. Ich kann mich in meinem ganzen Leben an keine Zeit erinnern, in der ich von solch hochmütigen Gefühlen erfüllt gewesen wäre wie in jenen ersten Tagen meiner Genesung, das heißt, gerade damals, als ein Strohhalm im Bett herumlag.
    Aber einstweilen schwieg ich und war sogar entschlossen, nicht zu grübeln! Ich studierte nur immer wieder ihre Gesichter und bemühte mich, daraus alles zu erraten, was ich wissen wollte. Ich sah ihnen an, daß sie sich vorgenommen hatten, mich weder auszufragen noch ihre Neugierde zu befriedigen, sondern sich mit mir nur über Nebensächliches zu unterhalten. Das gefiel mir; aber zugleich machte es mich traurig; ich möchte auf diesen Widerspruch nicht näher eingehen. Lisa sah ich seltener als Mama; obwohl sie mich gewöhnlich jeden Tag besuchte, sogar zweimal täglich. Aus den Bruchstücken ihrer Gespräche und ihrem ganzen Aussehen nach gewann ich den Eindruck, daß sich bei Lisa unheimlich viele Sorgen angehäuft hatten und daß sie sogar häufig in ihren eigenen Angelegenheiten außer Hause war; allein

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