Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
Vom Netzwerk:
Salon nach dem einstigen Schlafzimmer Mamas. Das, was ich dort erblickte, verwirrte mich vollends; ich hatte nichts Ähnliches erwartet und blieb wie angewurzelt auf der Schwelle stehen.
    Dort saß ein alter, völlig ergrauter Mann mit einem großen, furchtbar weißen Bart, und es war klar, daß er schon lange dort saß. Er saß nicht auf dem Bett, sondern auf Mamas Bänkchen und stützte sich nur mit dem Rücken gegen das Bett. Übrigens hielt er sich dermaßen gerade, daß es den Anschein hatte, er sei auf eine Stütze überhaupt nicht angewiesen, obwohl er offensichtlich krank war. Er trug über dem Hemd einen kurzen pelzgefütterten Mantel, über seine Knie war Mamas Plaid ausgebreitet, und seine Füße steckten in Pantoffeln. Er mußte, das erriet man sofort, sehr hoch gewachsen sein, war breitschultrig und sehr rüstig, ungeachtet seiner Krankheit, wenn auch ein wenig blaß und hager, hatte ein längliches Gesicht, auffallend volles, wenn auch nicht sehr langes Haar und war schätzungsweise über siebzig. Auf einem Tischchen neben ihm, er brauchte nur die Hand auszustrecken, lagen drei oder vier Bücher und eine silberne Brille. Ich war zwar nicht im geringsten darauf vorbereitet, ihn hier anzutreffen, erriet aber auf der Stelle, wer er war, wenn ich auch nicht begriff, wie er diese Tage, beinahe in meiner unmittelbaren Nähe, so ruhig sitzen konnte, daß ich bis jetzt von ihm so gut wie nichts wahrgenommen hatte.
    Er rührte sich nicht, als er mich erblickte, sah mich aber aufmerksam und stumm an, ebenso wie ich ihn, mit dem Unterschied, daß ich ihn mit maßlosem Erstaunen betrachtete, er dagegen mich völlig selbstverständlich. Im Gegenteil, als hätte er genug gesehen in diesen fünf oder zehn stummen Sekunden, lächelte er plötzlich und lachte dann sogar, ruhig und unhörbar, und wenn auch dieses Lachen sehr schnell verebbte, so war doch seine lichte, fröhliche Spur in seinem Gesicht geblieben, vor allem in den Augen, den sehr blauen, strahlenden, großen, obwohl von zahllosen winzigen Fältchen umgebenen und mit vor Alter erschlafften und leicht geschwollenen Lidern. Sein Lachen übte auf mich die größte Wirkung aus.
    Wenn ein Mensch lacht, ist es in der Mehrzahl der Fälle, denke ich, widerlich anzusehen. Am häufigsten offenbart das Lachen des Menschen etwas Banales, etwas, was den Lachenden gleichsam erniedrigt, obwohl der Lachende selbst fast niemals von dem Eindruck etwas ahnt, den er hervorruft. Er ahnt es ebensowenig, wie gewöhnlich niemand ahnt, was für ein Gesicht er hat, wenn er schläft. Bei manchen Schlafenden ist das Gesicht auch im Schlaf klug, aber bei einem anderen, sogar bei einem Klugen, wird im Schlaf das Gesicht richtig dumm und deshalb komisch. Ich weiß nicht, woher das kommt: Ich will nur sagen, daß der Lachende ebenso wie der Schlafende meistens von seinem Gesicht nicht die geringste Ahnung hat. Die überwiegende Mehrzahl der Menschen kann gar nicht richtig lachen. Übrigens ist da nichts zu können: Es ist eine Gabe, die man nicht einüben kann. Man kann sie höchstens einüben, wenn man sich umerzieht, sich zum Besseren entwickelt und negative Instinkte seines Charakters überwindet: Dann kann auch das Lachen eines solchen Menschen sich verbessern. Mancher verrät sich durch sein Lachen, und man erkennt plötzlich sein innerstes Wesen. Sogar ein kluges Lachen kann mitunter abstoßend sein. Das Lachen setzt vor allem Aufrichtigkeit voraus, aber wo unter Menschen findet man Aufrichtigkeit? Das Lachen setzt Arglosigkeit voraus, aber die Menschen lachen meistens boshaft. Aufrichtiges und argloses Lachen – das bedeutet Fröhlichkeit, aber wo finden wir heute unter den Menschen Fröhlichkeit, und können die Menschen überhaupt fröhlich sein? (Die Fröhlichkeit in unserer Zeit – eine Sentenz Werssilows, die ich mir gut gemerkt habe.) Fröhlichkeit – das ist der Charakterzug, der den Menschen am schlimmsten verrät, mit Haut und Haar. Manch einem Charakter kommt man lange nicht auf die Spur, aber dann lacht der Mensch einmal völlig entspannt, und sein ganzer Charakter liegt plötzlich da, wie auf offener Hand. Nur ein Mensch der höchsten und glücklichsten Entwicklung lacht ansteckend, das heißt unwiderstehlich und wohlwollend. Ich spreche hier nicht von seiner intellektuellen Entwicklung, sondern von dem Charakter, von dem Ganzen des Menschen. Also: Wenn Ihnen daran liegt, den Menschen zu durchschauen und seine Seele zu erkennen, so achten Sie weniger darauf, wie

Weitere Kostenlose Bücher