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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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wußten, Werssilow nicht ausgenommen. Darüber freute ich mich, aber ich sollte mich geirrt haben, was ich später zu meiner größten Verwunderung erkannte: Er hatte während meiner Krankheit bereits vorgesprochen, aber Werssilow hatte es mir verschwiegen, weshalb ich glaubte, ich hätte mich für Lambert in Luft aufgelöst. Nichtsdestoweniger dachte ich oft an ihn; noch mehr: Ich dachte an ihn nicht nur ohne jeden Widerwillen, nicht nur ausgesprochen neugierig, sondern sogar mit Spannung, als ahnte ich etwas Neues und Aussichtsreiches, das den in mir keimenden neuen Gefühlen und Plänen entsprach. Mit einem Wort, ich nahm mir vor, über Lambert als erstes nachzudenken, sobald ich mich überhaupt entschließen würde, wieder nachzudenken. Ich kann eine Eigentümlichkeit nicht unerwähnt lassen: Ich hatte vollständig vergessen, wo er wohnte und in welcher Straße alles vonstatten gegangen war. Das Zimmer, Alphonsine, das Hündchen, der Korridor – all das war mir gegenwärtig; ich hätte es auf der Stelle skizzieren können; aber wo sich alles abgespielt hatte, wo alles gewesen war, das heißt in welcher Straße, in welchem Haus – das war mir völlig entfallen. Und das Merkwürdigste war, daß mir dies erst am dritten oder vierten Tag auffiel, nachdem ich wieder zu vollem Bewußtsein gekommen war und mich die Gedanken an Lambert schon lange beschäftigten.
    Das also waren meine ersten Empfindungen nach meiner Auferstehung. Ich habe nur das Oberflächlichste bemerkt, und zwar, weil ich nicht imstande war, die Hauptsache zu bemerken. In der Tat, vielleicht hatte sich die Hauptsache gerade damals in meinem Herzen gefestigt und war faßbar geworden; ich habe mich doch nicht nur geärgert und gewütet, weil meine Bouillon sich verspätete. Oh, ich weiß noch, wie traurig und wie verzagt ich damals war, besonders dann, wenn ich lange allein war. Sie aber hatten mich fatalerweise mißverstanden und geglaubt, sie belästigten mich mit ihrer Gegenwart, ihre Anteilnahme reize mich, und deshalb ließen sie mich häufig und immer häufiger allein: aus übertriebenem Taktgefühl.
    II
    Am vierten Tag meines Aufwachens lag ich nachmittags gegen drei Uhr auf meinem Lager, und niemand war bei mir. Der Tag war wolkenlos, und ich wußte, daß zwischen drei und vier Uhr, wenn die Sonne sich dem Untergang zuneigt, ein schräger roter Sonnenstrahl direkt in die Ecke meiner Wand fällt und als leuchtender Flecken diese Stelle erhellt. Ich wußte von den vorhergehenden Tagen, daß es unbedingt in einer Stunde eintreten würde, vor allem aber wußte ich, daß ich dies wußte, so gewiß wie zwei mal zwei, worüber ich mich ärgerte und schließlich wütend wurde. Ich drehte mich krampfhaft auf die andere Seite und hörte plötzlich in der tiefen Stille die Worte: »Herr Jesus Christ, unser Gott, erbarme dich unser.« Die Worte wurden fast flüsternd gesprochen, ihnen folgte ein lauter Seufzer aus tiefer Brust, dann wurde alles wieder völlig still. Ich hob schnell meinen Kopf.
    Ich hatte auch vorher schon, das heißt am Tag zuvor, und sogar schon vorgestern etwas Besonderes in unseren unteren drei Zimmern bemerkt. In jenem Zimmerchen, hinter dem Salon, wo sonst Mama und Lisa hausten, wohnte jetzt offensichtlich jemand anderes. Ich hatte bereits mehrmals, tagsüber, aber auch nachts, irgendwelche Laute gehört, aber immer nur ganz kurz, nur Augenblicke, und dann wieder vollständige Stille, die einige Stunden dauerte, so daß ich weiter nicht darauf geachtet hatte. Am Vorabend war mir noch eingefallen, daß dort Werssilow wohnen könnte, zumal er bald darauf bei mir eingetreten war, obwohl ich, und zwar ganz sicher, aus ihren Gesprächen wußte, daß Werssilow für die Dauer meiner Krankheit irgendwohin in eine andere Wohnung umgezogen wäre, wo er auch übernachtete. Von Mama und Lisa wußte ich schon lange, daß beide (um meiner Ruhe willen, dachte ich) nach oben gezogen waren, in meinen früheren »Sarg«, und habe sogar einmal im stillen gedacht: “Wie können sie dort beide unterkommen?” Und nun stellt sich plötzlich heraus, daß in ihrem früheren Zimmer ein Mann wohnt und daß dieser Mann – keineswegs Werssilow ist. Mit einer Leichtigkeit, die ich mir gar nicht zugetraut hatte (ich hatte mir bis dahin eingebildet, ich wäre vollkommen entkräftet), schob ich die Füße in die Pantoffeln, zog den grauen lammfellgefütterten Schlafrock über, der neben dem Bett lag (den mir Werssilow geopfert hatte), und begab mich durch den

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