Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
immer wieder das Bellen eines Bologneser Hündchens zu hören geglaubt hätte. Aber das schwache Licht des Bewußtseins erlosch sehr bald: Gegen Abend des zweiten Tages hatte ich schon hohes Fieber und phantasierte. Aber ich will den Ereignissen vorgreifen und einiges im voraus erklären.
Als ich an jenem Abend von Serschtschikow herausgestürmt war und als sich dort alles ein wenig beruhigt hatte, verkündete Serschtschikow beim Wiederbeginn des Spiels plötzlich lauthals, es sei ihm ein betrüblicher Irrtum unterlaufen: Das vermißte Geld, vierhundert Rubel, habe sich in einem anderen Geldhaufen gefunden, und die Rechnung der Bank habe sich als völlig richtig herausgestellt. Darauf war der Fürst, der sich noch im Saal befand, auf Serschtschikow zugegangen und hatte nachdrücklich gefordert, dieser müsse meine Unschuld öffentlich bestätigen und außerdem sich in einem Brief formell bei mir entschuldigen. Serschtschikow seinerseits fand die Forderung berechtigt und gab dem Fürsten, vor allen Anwesenden, das Ehrenwort, morgen noch den klärenden Entschuldigungsbrief abzusenden. Der Fürst teilte ihm Werssilows Adresse mit, und wirklich hielt Werssilow schon am nächsten Tag Serschtschikows persönliches, an mich adressiertes Schreiben in der Hand, mitsamt etwas über eintausenddreihundert Rubeln, die mir gehörten und die ich auf dem Roulettetisch liegengelassen hatte. Damit war die Geschichte mit Serschtschikow erledigt; diese freudige Nachricht trug später, als ich mein Bewußtsein wiedererlangt hatte, sehr viel zu meiner Genesung bei.
Der Fürst hatte, nachdem er von Serschtschikow zurückgekehrt war, noch in derselben Nacht zwei Briefe geschrieben – den einen an mich, den anderen an sein ehemaliges Regiment, in dem sich der Vorfall mit dem Kornett Stepanowitsch abgespielt hatte. Beide Briefe hat er noch am nächsten Morgen abgeschickt. Darauf setzte er einen Rapport an den Regimentskommandeur auf und meldete sich, diesen Rapport in der Hand, am frühen Morgen beim Regimentskommandeur als »Krimineller, beteiligt an der Fälschung der –er Aktien, der sich selbst in die Hände der Gerichtsbarkeit ausliefert und um ein Gerichtsverfahren bittet«. Daraufhin überreichte er seinen Rapport, in dem das Ganze schriftlich niedergelegt war. Er wurde verhaftet.
Hier ist der Brief, den er mir in jener Nacht geschrieben hat, Wort für Wort:
Unschätzbarer Arkadij Makarowitsch,
nachdem ich den Lakaien-»Ausweg« versucht hatte, verlor ich das Recht, meine Seele auch nur ein wenig mit dem Gedanken zu trösten, daß auch ich schließlich mich zu einer Tat der Gerechtigkeit aufschwingen könnte. Ich bin schuldig vor meinem Vaterland und vor dem Stamm der Fürsten Sokolskij und verhänge als Letzter meines Geschlechts selbst die Strafe über mich. Ich begreife nicht, wie ich mich an den niedrigen Gedanken der Selbsterhaltung habe klammern und einige Zeit davon träumen können, mich gegen Geld von jenen loszukaufen. Ich wäre dennoch im Angesicht meines Gewissens zeit meines Lebens ein Verbrecher geblieben. Diese Leute würden mich, auch wenn sie mir die kompromittierenden Briefe zurückgäben, um keinen Preis in Ruhe lassen! Was blieb mir übrig: Mit ihnen leben, lebenslang mit ihnen unter einer Decke stecken – das wäre das Los gewesen, das auf mich wartete! Es auf mich zu nehmen ging über meine Kraft, aber ich fand schließlich in mir genug Kraft, vielleicht auch nur Verzweiflung, um so zu handeln, wie ich jetzt handle.
Ich habe den Brief an mein früheres Regiment geschrieben, an meine früheren Regimentskameraden, und Stepanow rehabilitiert. In meinem Handeln ist nicht die Spur einer sühnenden Tat, davon kann gar keine Rede sein: Es ist nichts anderes als der Letzte Wille eines Menschen, der morgen ein Toter ist. Nur so muß man es auffassen.
Verzeihen Sie mir, daß ich mich gestern im Spielsaal von Ihnen abgewandt habe; das geschah, weil ich Ihrer im Augenblick nicht sicher war. Jetzt, da ich schon ein Toter bin, kann ich mir sogar solche Geständnisse erlauben … aus dem Jenseits.
Arme Lisa! Sie wußte noch nichts von dem Entschluß; sie soll mir nicht fluchen, sondern es selbst erwägen. Mir steht es nicht zu, mich zu rechtfertigen, und ich finde nicht einmal die Worte, um ihr wenigstens etwas zu erklären. Sie müssen ebenfalls wissen, Arkadij Makarowitsch, daß ich ihr gestern vormittag, als sie zum letzten Mal zu mir kam, meinen Betrug gestanden und ihr gesagt habe, daß ich bei Anna Andrejewna war,
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