Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
anschließend plötzlich verklärt erscheinen! Ich würde ja alle zum Lachen bringen! Das alles habe ich ihm damals auseinandergesetzt … Er hat Büßerketten getragen.«
Vor Zorn stieg mir das Blut zu Kopf.
»Haben Sie die Büßerketten selbst gesehen?«
»Ich habe sie selbst nicht gesehen, aber …«
»Dann sollen Sie wissen, daß dies alles Lüge ist, heimtückische Ränke und Verleumdungen seiner Feinde, das heißt eines Feindes, seines wichtigsten und unmenschlichsten Feindes, aber er hat ja auch nur einen einzigen Feind – Ihre Tochter!«
Nun stieg auch dem Fürsten die Zornesröte ins Gesicht.
»Mon cher, ich bitte dich und bestehe darauf, daß du von nun an und in aller Zukunft niemals diese infame Geschichte und den Namen meiner Tochter in einem Atemzug nennst.«
Ich erhob mich. Er war außer sich; sein Kinn zitterte.
» Cette histoire infame! … Ich habe sie nicht geglaubt. Ich wollte sie niemals glauben, aber … man sagt mir: ›Du mußt, du mußt sie glauben …‹ ich …«
Da trat plötzlich ein Lakai ein und meldete einen Besuch; ich ließ mich wieder auf meinen Stuhl nieder.
IV
Ins Zimmer traten zwei Damen, zwei junge Damen, die eine war die Stieftochter eines Vetters der verstorbenen Gattin des Fürsten oder so ähnlich, eine seiner Ziehtöchter, der er bereits die Mitgift ausgesetzt hatte und die (dies sei für das Kommende erwähnt) selbst nicht unvermögend war; die zweite – Anna Andrejewna Werssilowa, Werssilows Tochter, drei Jahre älter als ich, die mit ihrem Bruder bei der Fanariotowa lebte und die ich bis dahin nur ein einziges Mal in meinem Leben gesehen hatte, flüchtig, auf der Straße, wenn ich auch mit ihrem Bruder ebenso flüchtig, einmal in Moskau, aneinandergeraten war (durchaus möglich, daß ich im folgenden darauf zu sprechen komme, falls der Platz ausreicht, obwohl es sich eigentlich kaum lohnt). Diese Anna Andrejewna war seit ihren Kindertagen eine besondere Favoritin des Fürsten (Werssilow und der Fürst waren schon seit ewig bekannt). Ich war durch das soeben Vorgefallene so verwirrt, daß ich bei ihrem Eintreten nicht einmal aufstand, obwohl der Fürst sich sofort zu ihrer Begrüßung erhoben hatte; später dachte ich, es sei zu spät und peinlich, mich zu erheben, und blieb sitzen. Vor allem war ich dadurch verunsichert, daß der Fürst mich vor drei Minuten so angefahren hatte, und konnte mich nun nicht entscheiden: Sollte ich weggehen oder nicht. Aber mein alter Herr hatte inzwischen, seiner Gewohnheit gemäß, schon alles völlig vergessen und sich beim Anblick der jungen Damen aufs angenehmste belebt. Er brachte es sogar fertig, mit seiner rasch veränderten Physiognomie mir mit geheimnisvollem Zwinkern, unmittelbar vor ihrem Erscheinen, zuzuflüstern:
»Sieh dir Olympia an, aber aufmerksam, aufmerksam … Später werde ich es dir erzählen …«
Ich sah sie mir ziemlich genau an und konnte nichts Besonderes entdecken; ein junges Mädchen, nicht sehr groß, rundlich, mit außerordentlich roten Backen. Übrigens ein ziemlich angenehmes Gesicht von der Art, wie es den Materialisten gefällt. Vielleicht sogar nicht ohne Güte, aber mit einer gewissen Eigenheit. Besonders intellektuell war sie gewiß nicht, aber recht schlau, was ihre Augen verrieten. Nicht älter als neunzehn. Kurz, nichts Besonderes. In unserem Gymnasium hätte man gesagt: ein Kissen. (Wenn ich sie hier so genau beschreibe, so einzig deshalb, weil es sich in der Zukunft als notwendig erweisen wird.)
Übrigens deutet auch alles, was ich bis jetzt geschrieben habe – anscheinend mit übertriebener Akribie –, auf die Zukunft hin und wird dann notwendig sein. Zu seiner Zeit wird sich alles bewähren; ich brachte es nicht fertig, mich zu beschränken; und wenn man es langweilig findet, so bitte ich, nicht weiterzulesen.
Eine ganz andere Person war Werssilows Tochter. Großgewachsen, sogar ein wenig hager; ein längliches und auffallend blasses Gesicht, aber die Haare schwarz und üppig; die Augen dunkel, groß, der Blick sehr tief; fein geschnittene kleine rote Lippen, ein frischer Mund. Die erste Frau, deren Gang mich nicht anekelte; natürlich, sie war eben schlank, sogar mager. Der Gesichtsausdruck ohne Güte, aber bedeutend; zweiundzwanzig Jahre. Äußerlich fast keine Ähnlichkeit mit Werssilow, indessen, wie durch ein Wunder, eine verblüffende Ähnlichkeit mit ihm durch den physiognomischen Ausdruck. Ich weiß nicht, ob sie schön war, das ist Geschmacksache. Beide
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