Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
mich wie in einem wallenden Nebel befand.
Aus diesen drei Minuten erinnere ich mich nur an eine wirklich wunderschöne Frau, die der Fürst küßte und bekreuzte und die dann plötzlich – kaum, daß sie eingetreten war – den Blick auf mich richtete. Ich hörte deutlich, wie der Fürst, offenbar auf mich zeigend, irgend etwas von einem neuen Sekretär murmelte, unsicher lachte und meinen Namen nannte. Sie warf irgendwie den Kopf in den Nacken, maß mich mit einem unguten Blick und lächelte so unverschämt, daß ich plötzlich einen Schritt nach vorn machte, mich vor dem Fürsten aufpflanzte und, von Kopf bis Fuß heftig zitternd, ohne auch nur ein einziges Wort zu Ende zu sprechen, murmelte, wie ich glaube, zähneklappernd:
»Seit ich … Ich muß mich jetzt um meine eigenen … kümmern … Ich gehe.«
Ich drehte mich um und verließ den Raum. Niemand hat auch nur ein Wort gesagt, nicht einmal der Fürst; alle haben nur geschaut. Der Fürst berichtete mir später, ich sei so kreidebleich gewesen, daß ihm einfach »angst und bange« geworden sei.
Aber das war nicht nötig!
Drittes Kapitel
I
Und das war wirklich nicht nötig: Höhere Überlegungen obsiegten über alle Kleinigkeiten, und schon das Gefühl meiner Macht entschädigte mich für alles. Ich verließ den Raum in einer Art Begeisterung. Als ich auf die Straße hinaustrat, hätte ich am liebsten gesungen. Es war auch, wie auf Bestellung, ein wunderschöner Vormittag, Sonne, Menschen, Lärm, Bewegung, Freude, Gedränge. Wie, war es wirklich möglich, daß ich mich von dieser Frau nicht beleidigt fühlte? Von wem sonst hätte ich mir einen solchen Blick und ein solch unverschämtes Lächeln gefallen lassen, ohne sofort zu protestieren? Selbst wenn mein Protest noch so dümmlich ausgefallen wäre – das wäre mir egal gewesen. Man bedenke, sie war ja bereits mit der Absicht gekommen, mich so bald wie möglich zu beleidigen, obwohl sie mich nie gesehen hatte: In ihren Augen war ich »Werssilows Handlanger«, sie aber war davon überzeugt, sowohl damals als auch noch lange nachher, daß ihr ganzes Schicksal in Werssilows Hand liege, daß er Mittel und Wege habe, sie, sobald er nur wollte, ins Verderben zu stürzen, und zwar mittels eines Dokuments; jedenfalls vermutete sie dies. Es war ein Duell auf Leben und Tod. Und nun – ich fühlte mich nicht beleidigt! Die Beleidigung war eine Tatsache, aber ich habe sie nicht als solche empfunden! Von wegen! Ich war sogar froh: Ich war gekommen, um sie zu hassen, und fühlte nun, daß ich sie zu lieben begann. »Ich weiß nicht, ob eine Spinne die Fliege hassen kann, auf die sie es abgesehen hat? Oh, süße kleine Fliege! Ich glaube, das Opfer wird geliebt; es ist jedenfalls möglich, es zu lieben. Und ich, zum Beispiel, liebe doch meinen Feind: Mir gefällt es riesig, daß sie so schön ist. Mir gefällt es riesig, daß Sie, gnädige Frau, so hochmütig und majestätisch sind! Wären Sie bescheidener aufgetreten, hätte ich nicht so viel davon. Sie haben mich angespuckt, und ich triumphiere; selbst wenn Sie mir wirklich ins Gesicht gespuckt hätten, wäre ich vielleicht nicht wütend geworden, weil Sie – mein Opfer sind, meines und nicht seines. Welcher Zauber liegt in diesem Gedanken! Nein, das heimliche Bewußtsein eigener Macht tut unermeßlich wohler als offenkundiges Herrschen. Und wenn ich vielfacher Millionär wäre, würde ich mit Vergnügen die allerschäbigsten Kleider tragen, damit man mich für den jämmerlichsten Zeitgenossen hielte, fast für einen Bettler, damit ich herumgestoßen und verachtet würde: Nein, mir genügt schon das Bewußtsein .«
In dieser Weise könnte ich meine damaligen Gedanken, meine Freude und manche meiner damaligen Empfindungen übersetzen. Ich möchte nur hinzufügen, daß hier, in dem soeben Geschriebenen, alles viel zu oberflächlich geraten ist: In Wirklichkeit war ich damals viel tiefer und keuscher. Vielleicht bin ich auch jetzt im stillen keuscher als in meinen Worten und Taten! Gott gebe es!
Vielleicht habe ich einen Fehler gemacht, als ich angefangen habe zu schreiben: Es bleibt doch im Inneren unermeßlich viel mehr als das, was man in Worte fassen kann. Jeder Gedanke, selbst ein flacher, scheint, solange er noch unausgesprochen bleibt, tiefer, und der in Worte gefaßte – lächerlicher und gewöhnlicher. Werssilow sagte mir, daß es nur bei schlechten Menschen umgekehrt sei. Die lügen nur, die haben es leicht; ich dagegen versuche, die ganze
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