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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Wahrheit niederzuschreiben: Und das ist furchtbar schwer!
    II
    An diesem Neunzehnten riskierte ich einen weiteren »Schritt«.
    Zum ersten Mal seit meiner Ankunft hatte ich Geld in der Tasche, denn ich hatte, wie bereits oben erwähnt, meine innerhalb von zwei Jahren zusammengesparten sechzig Rubel meiner Mutter abgeliefert; aber nun hatte ich mir schon vor einigen Tagen fest vorgenommen, ein Experiment durchzuführen, von dem ich schon lange träumte. Schon gestern hatte ich aus einer Zeitung eine Adresse ausgeschnitten – die Bekanntmachung des »Executors am Sankt Petersburger Friedensgericht« usf. usf., daß »am Neunzehnten des Monats September, um zwölf Uhr vormittags, im Kasaner Viertel, in dem Quartier Soundso, usf. usf., im Haus Nummer Soundso, das Mobiliar der Frau Lebrecht versteigert« werde und daß die entsprechenden »Listen und Preise eingesehen und der zu versteigernde Hausrat am Tag der Versteigerung besichtigt werden kann« usw. usf.
    Es war kurz nach ein Uhr. Ich eilte zu Fuß nach dieser Adresse. Schon seit über zwei Jahren verzichte ich auf eine Droschke – das habe ich mir geschworen (sonst hätte ich auch keine sechzig Rubel zusammensparen können). Ich bin noch nie auf einer Auktion gewesen, ich hatte es mir bis jetzt nicht gestattet; und obwohl auch der heutige »Schritt« nur ein Versuch war, sollte auch er, laut meinem Entschluß, erst dann vollzogen werden, wenn ich das Gymnasium hinter mir hätte, wenn ich mich von allen zurückgezogen, wenn ich mich in meinen »Panzer« eingekapselt hätte und völlig frei geworden wäre. Freilich hatte ich mich noch längst nicht in den »Panzer« eingekapselt und war noch längst nicht frei; aber ich hatte ja auch vor, diesen »Schritt« nur als eine Art Experiment zu betrachten – gleichsam nur um auszuprobieren, gleichsam nach meinem Wunschtraum zu spähen, um danach nicht mehr wiederzukommen, lange nicht wiederzukommen, bis zu dem Zeitpunkt, da es ernst werden würde. Für alle anderen war das nur eine ganz kleine, banale Auktion, für mich aber der erste Balken des Schiffs, auf dem Kolumbus sich aufmachte, um Amerika zu entdecken. So waren meine damaligen Gefühle.
    Als ich das Haus gefunden hatte, ging ich in die Tiefe des Hofes, wie in der Annonce angegeben, und betrat die Wohnung der Frau Lebrecht. Die Wohnung bestand aus einem Flur und vier mittelgroßen, mäßig hohen Zimmern. Im ersten Zimmer am Ende des Flurs standen mehrere Menschen, vielleicht sogar dreißig an der Zahl; zum Teil Käufer, zum Teil dem Aussehen nach Neugierige oder Liebhaber solcher Veranstaltungen oder gar Mittelspersonen der Lebrecht; darunter auch Kaufleute und Juden, die es auf Goldschmuck abgesehen hatten, außerdem wenige »sauber« gekleidete Menschen. Sogar die Physiognomien einzelner Anwesender haben sich meinem Gedächtnis eingeprägt. Im Zimmer rechts, dessen Tür offenstand, hatte man gerade zwischen die Türflügel einen Tisch geschoben, so daß man dieses Zimmer nicht betreten konnte: Dort lagen die unter den Hammer kommenden Sachen. Links lag ein weiteres Zimmer, dessen Türen angelehnt waren, jedoch alle Augenblicke auf einen kleinen Spalt geöffnet wurden, durch den – man konnte es sehen – jemand hindurchspähte – vermutlich ein Angehöriger der vielköpfigen Familie der Frau Lebrecht, die sich an diesem Tag in einer äußerst peinlichen Lage befand. Hinter dem Tisch zwischen den Türflügeln saß auf einem Stuhl, mit dem Gesicht zum Publikum, der Herr Executor mit dem Brustschild und führte die Versteigerung durch. Als ich eintrat, war die Sache schon fast halb vorüber; ich drängte mich sogleich bis an den Tisch heran. Es ging gerade um zwei Bronzeleuchter. Ich sah mich um.
    Ich sah mich um und überlegte dabei. Was könnte ich jetzt erwerben? Was könnte ich mit diesen Bronzeleuchtern anfangen? Bringen sie mich meinem Ziel näher, macht man denn so ein gutes Geschäft? Und stimmt meine Rechnung überhaupt? Oder ist meine Rechnung, die ich gemacht habe, einfach kindisch? All das ging mir durch den Kopf, und ich wartete. Ich hatte ein Gefühl wie am Spieltisch, in jenem Augenblick, da man noch nicht gesetzt, aber sich dem Tisch mit der Absicht genähert hat, gleich ein Spiel zu machen: »Wenn ich will, setze ich, wenn ich will, gehe ich – das hängt nur von mir ab.« Das Herz pocht noch nicht, aber es setzt irgendwie ganz leicht aus und flattert – ein Gefühl, das eines gewissen Reizes nicht entbehrt. Aber die Unentschlossenheit

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