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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Erzählungen in Erinnerung geblieben, eine lange Lebensbeschreibung – die » Vita der Maria Aegyptiaca «. Von dieser Vita, wie von fast allen ähnlichen, hatte ich bis dahin nicht die geringste Ahnung. Ich gestehe es offen … Es war fast unmöglich, sie ohne Tränen anzuhören, und nicht vor Innigkeit, sondern vor einer eigentümlichen Begeisterung: Man spürte das Ungewöhnliche und Heiße, wie jene sonnendurchglühte Sandwüste mit den Löwen, in der die Heilige umherstreifte. Allerdings will ich darüber nicht sprechen, zumal mir auch jede Kompetenz fehlt.
    Außer der Innigkeit gefielen mir an ihm auch gewisse außerordentlich originelle Ansichten über einige immer noch fragwürdige Erscheinungen unserer Gegenwart. Einmal erzählte er zum Beispiel die Geschichte von einem kürzlich aus dem Dienst entlassenen Soldaten; er war beinahe Augenzeuge gewesen. Ein Soldat kehrte nach der Entlassung in seine Heimat, wieder unter die Bauern zurück und konnte nun an dem Leben unter Bauern keinen Gefallen mehr finden, aber auch die Bauern konnten an ihm keinen Gefallen mehr finden. Der Mann geriet auf die schiefe Bahn, begann zu saufen und raubte irgendwo irgend jemand aus; eindeutige Indizien gab es keine, aber er wurde trotzdem verhaftet und vor Gericht gestellt. Beim Prozeß gelang es dem Advokaten, seine Unschuld zu beweisen – eben keine Indizien, basta –, als der Angeklagte plötzlich aufhorchte, sich plötzlich erhob und den Advokaten unterbrach: »Nein, warte mal mit dem Reden«, und darauf alles erzählte, voll Ruhe und unter Tränen. Die Geschworenen zogen sich zurück, schlossen sich ein, um zu beraten, und schon kamen sie plötzlich alle wieder heraus: »Nein, nicht schuldig.« Alle riefen, alle freuten sich, der Soldat aber bleibt wie angewurzelt stehen, wie in eine Säule verwandelt, und versteht kein einziges Wort, versteht auch nicht, als ihn der Gerichtsvorsitzende ermahnt und ihn in die Freiheit entläßt. Nun war der Soldat wieder frei und traute sich immer noch nicht, daran zu glauben, wurde schwermütig, grübelte vor sich hin, aß nicht, trank nicht, sprach nicht mit den Leuten, und am fünften Tag erhängte er sich. »So geht’s, wenn man mit einer Sünde auf dem Gewissen lebt!« schloß Makar Iwanowitsch. Diese Geschichte ist natürlich belanglos, und heute sind alle Zeitungen voll davon. Aber mir hat darin der Ton gefallen, vor allem aber manche Ausdrücke mit einem entschieden neuartigen Gedanken. Als er zum Beispiel davon sprach, wie der Soldat nach seiner Rückkehr ins Dorf den Bauern nicht mehr gefiel, drückte sich Makar Iwanowitsch so aus: »Man weiß ja, was ein Soldat ist: Ein Soldat ist ein verkorkster Bauer. « Als er darauf von dem Advokaten sprach, der den Prozeß um ein Haar gewonnen hätte, drückte er sich so aus: »Man weiß ja, was ein Advokat ist: Ein Advokat ist ein gemietetes Gewissen .« Beide Ausdrücke kamen ihm mühelos über die Lippen, er registrierte sie kaum, indessen liegt in diesen beiden Sätzen eine spezifische Auffassung von den beiden Gegenständen, natürlich nicht des ganzen Volkes, aber doch Makar Iwanowitschs, seine ureigenste und nirgendwo geborgte! Diese Vorausurteile des Volkes bei manchen Gelegenheiten sind mitunter einfach wunderbar in ihrer Originalität.
    »Und was halten Sie, Makar Iwanowitsch, von der Sünde des Selbstmordes?« fragte ich ihn bei dieser Gelegenheit.
    »Selbstmord ist die größte menschliche Sünde«, antwortete er seufzend, »aber der Richter ist hier der Herrgott allein, denn nur Ihm ist alles bekannt, jedes Ziel und jedes Maß. Uns aber kommt es zu, unbedingt für einen solchen Sünder zu beten. Jedes Mal, wenn du von solch einer Sünde hörst, mußt du vor dem Einschlafen für diesen Sünder inbrünstig beten; und wenn du um seinetwillen auch nur seufzest zu Gott, selbst wenn du ihn nicht kanntest – um so erreichender wird dein Gebet sein.«
    »Wird denn mein Gebet ihm noch etwas helfen, wenn er schon verurteilt ist?«
    »Woher willst du das wissen? Viele, ach, so viele haben keinen rechten Glauben und verstören dadurch die Unwissenden; du aber höre nicht auf sie, denn sie wissen selbst nicht, wohin ihre Füße sie tragen. Das Gebet für einen Verurteilten von einem noch Lebenden ist wahrhaft erreichend. Wie aber ergeht es dem, für den niemand betet? Deshalb mußt du, wenn du vor dem Schlafengehen dich zum Gebet hinkniest, am Ende hinzufügen: ›Erbarme Dich, unser Herr Jesus Christus, auch all derer, für die

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