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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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»Genau dieselbe Szene hat sich schon einmal hier unter uns abgespielt. Ich beschwöre dich, nimm dich jetzt zusammen!«
    Ich vermag nicht wiederzugeben, mit welch starkem Gefühl er dies sagte. Tiefe Trauer, aufrichtig und unergründlich, lag in seinen Zügen. Das Erstaunlichste war, daß er schuldbewußt wirkte: Als wäre ich der Richter und er – der Verbrecher. All das gab mir den Rest.
    »Jawohl!« schrie ich als Antwort, »genau dieselbe Szene hat sich schon abgespielt, als ich Werssilow zu Grabe trug und ihn aus meinem Herzen riß … Aber darauf erfolgte eine Auferstehung von den Toten, jetzt aber … jetzt geht die Sonne nie wieder auf! Aber … Sie alle hier werden noch sehen, wessen ich fähig bin! Sie ahnen nicht einmal, was ich beweisen kann!«
    Ich sprach es und stürmte in mein Zimmer. Werssilow lief mir nach …
    V
    Ich erlitt einen Rückfall; hohes Fieber und, gegen die Nacht, Delirien. Aber nicht alles waren Delirien: Es gab auch zahllose Träume, einen ganzen Reigen, maßlose Träume, von denen ich einen oder ein Fragment davon mein ganzes Leben behalten sollte. Ich gebe ihn kommentarlos wieder; es war eine Prophetie, und ich kann ihn nicht übergehen.
    Ich befand mich plötzlich, eine erhabene und stolze Absicht im Herzen, in einem großen und hohen Zimmer; es war aber nicht bei Tatjana Pawlowna: Ich erinnere mich ganz genau an dieses Zimmer, das bemerke ich vorweg. Obwohl ich mich dort allein befinde, fühle ich ununterbrochen, mit Unruhe und Pein, daß ich keineswegs allein bin, daß ich erwartet werde und daß man von mir etwas erwartet. Irgendwo hinter den Türen sitzen Menschen und warten darauf, was ich tun würde. Die unerträgliche Empfindung: “Oh, wäre ich doch nur allein!” Plötzlich betritt sie den Raum. Sie sieht schüchtern aus, sie hat fürchterliche Angst. Sie versucht, in meinen Blicken zu lesen. In meinen Händen – das Dokument. Sie lächelt, um mich zu gewinnen, sie will sich einschmeicheln; ich habe Mitleid, aber in mir steigt Ekel auf. Plötzlich schlägt sie die Hände vors Gesicht. Ich werfe das »Dokument« in unaussprechlicher Verachtung auf den Tisch: »Sie brauchen nicht zu bitten. Hier, hier haben Sie es. Ich will nichts von Ihnen! Die Rache für meine Entwürdigung ist Verachtung!« Ich verlasse das Zimmer, trunken von maßlosem Stolz. Aber in der Tür, im Dunkel, packt mich Lambert am Arm: »Du Nah’, du Nah’!« flüstert er und umklammert mit aller Kraft meinen Arm. »Sie muß auf der Wassiljew-Insel eine vornehme Pension für Dirnen eröffnen.« (Das heißt, um ihr tägliches Brot zu verdienen, falls ihr Vater von mir über das Dokument unterrichtet wird, sie enterbt und vor die Tür setzt. Ich gebe Lamberts Rede wortwörtlich wieder, wie ich sie geträumt habe.)
    »Arkadij Makarowitsch sucht Wohlgestalt«, wisperte Anna Andrejewnas Stimmchen irgendwo in der Nähe, offenbar im Treppenhaus; aber nicht Zustimmung, sondern unerträglicher Spott klingt darin an. Ich kehre mit Lambert ins Zimmer zurück. Aber sie bricht bei Lamberts Anblick plötzlich in lautes Lachen aus. Mein erster Eindruck – panischer Schrecken, ein solcher Schrecken, daß ich wie angewurzelt stehenbleibe und nicht wage, näher zu treten. Ich sehe sie an und traue meinen Augen nicht; es ist, als hätte sie plötzlich eine Maske vom Gesicht gerissen: Es sind dieselben Züge, aber jeder, selbst der kleinste Zug, ist in maßloser Dreistigkeit verzerrt. »Der Preis, Gnädigste, der Preis!« schreit Lambert, beide lachen immer lauter, und mein Herzschlag setzt aus: »Ist es möglich, daß dieses schamlose Weib – dasselbe ist, unter dessen einzigem Blick mein Herz vor Tugend überschäumte?«
    »Du siehst, wessen sie, diese Stolzen der großen Welt, für Geld fähig sind!« ruft Lambert aus. Aber die Schamlose wird nicht einmal jetzt verlegen; sie schüttelt sich vor Lachen gerade darüber, daß ich so erschrocken bin. Oh, sie ist bereit, den Preis zu zahlen, das sehe ich und … und was ist mit mir? Ich fühle weder Mitleid noch Ekel; ich zittere wie noch nie im Leben … Ein neues Gefühl bemächtigt sich meiner, ein unaussprechliches, das ich noch nie empfunden habe, und so mächtig wie die ganze Welt … Oh, nichts kann mich jetzt dazu bewegen, hinauszugehen. Oh, wie es mir gefällt, daß es so schamlos zugeht! Ich packe sie an beiden Händen, die Berührung ihrer Hände erschüttert mich bis zur Qual, und ich nähere meine Lippen ihren dreisten, purpurroten, vor Lachen

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