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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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wird sehr bald unerträglich, eine Art Blindheit überkommt einen. Man streckt die Hand aus, nimmt eine Karte, aber irgendwie mechanisch, fast gegen den eigenen Willen, als führe jemand anderer meine Hand; endlich ist man entschlossen und setzt – und sofort ist die Empfindung eine völlig andere, sie ist überwältigend. Ich schildere hier nicht eine Auktion, ich schildere nur mich selbst: Wem denn sonst würde auf einer Auktion das Herz flattern?
    Einige Bietende echauffierten sich, andere schwiegen und warteten, andere hatten gekauft und bereuten. Ich hatte nicht das geringste Mitleid mit einem Herrn, der irrtümlich, weil er sich verhört und ein Milchkännchen aus Neusilber statt eines silbernen gekauft hatte, für ganze fünf Rubel statt für zwei; es hatte mich sogar sehr erheitert. Der Executor sorgte übrigens für Abwechslung: Auf die Leuchter folgten Ohrringe, auf die Ohrringe ein besticktes Saffiankissen, darauf folgte eine Schatulle – auch, um den Wünschen der Käufer entgegenzukommen. Ich stand noch keine zehn Minuten da, als ich mich zuerst dem Kissen zuwandte, dann der Schatulle, zuckte aber im entscheidenden Augenblick jedesmal zurück: Diese Sachen kamen mir völlig unmöglich vor. Aber schließlich hielt der Executor ein Album in den Händen.
    »Poesiealbum, rotes Saffianleder, Gebrauchsspuren, mit Aquarell- und Tuschzeichnungen, Futteral aus geschnitztem Elfenbein, mit silbernen Schließen – zwei Rubel!«
    Ich rückte näher: Das Ding sah gut aus, aber die Elfenbeinschnitzerei war an einer Stelle schadhaft. Ich war der einzige, der näher getreten war und das Album sehen wollte. Alle anderen schwiegen; es gab also keine Konkurrenz. Ich hätte die Schließen öffnen und das Album aus dem Futteral nehmen können, um es mir näher anzusehen. Aber ich hatte auf mein Recht verzichtet und nur mit zitternder Hand abgewinkt: »Egal«, sollte das heißen.
    »Zwei Rubel, fünf Kopeken«, sagte ich, schon wieder zähneklappernd.
    Niemand bot mehr. Ich zog sofort das Geld hervor, zahlte, packte hastig das Album und zog mich in eine Zimmerecke zurück; dort erst nahm ich es aus dem Futteral, um es mit fiebernder Hast durchzublättern: Mit Ausnahme des Futterals war es das wertloseste Ding der Welt – ein Album von der Größe eines Briefbogens kleinen Formats, dünn, mit abgegriffenem Goldschnitt, genau von der Art, wie sie in alten Zeiten von jungen Damen nach dem Verlassen des Pensionats geschätzt wurden. In Tusche und Wasserfarben waren Tempel auf Berghöhen, Amoretten und ein Teich mit darauf schwimmenden Schwänen zu sehen; und auch Gedichte:
    Vor mir liegt ’ne weite Reise,
    Adieu ich Moskau sagen muß,
    Die Liebste kriegt auf diese Weise
    Von Krims Gestaden einen Gruß.
    (Eines ist mir tatsächlich in Erinnerung geblieben!) Ich kam zu dem Schluß, daß ich »hereingefallen« war; wenn es etwas Überflüssiges gab, dann dieses Album.
    “Nicht schlimm”, entschied ich, “die erste Karte bringt nie etwas; das kann sogar ein gutes Zeichen sein.”
    Ich war entschieden aufgeräumt.
    »Ach, ich bin zu spät; Sie haben es? Ersteigert?« hörte ich plötzlich neben mir die Stimme eines Herrn in blauem Überzieher, stattlich und gut gekleidet. Er hatte sich verspätet.
    »Ich bin zu spät. Ach, wie schade! Wie teuer?«
    »Zwei Rubel fünf Kopeken.«
    »Ach, wie schade! Würden Sie es vielleicht mir überlassen?«
    »Lassen Sie uns hinausgehen«, flüsterte ich ihm stockenden Herzens zu.
    Wir gingen ins Treppenhaus hinaus.
    »Ich überlasse es Ihnen für zehn Rubel«, sagte ich, während es mir kalt den Rücken hinunterlief.
    »Zehn Rubel! Ich bitte Sie, zehn Rubel!«
    »Wie Sie wünschen.«
    Er sah mich aus weit aufgerissenen Augen an; ich war gut gekleidet: Ich sah keineswegs aus wie ein Jude oder ein Trödler.
    »Aber haben Sie doch Erbarmen, das ist doch ein schäbiges altes Album, kein Mensch hat Interesse daran! Das Futteral ist eigentlich überhaupt nichts mehr wert, Sie werden es nie mehr verkaufen können!«
    »Aber Sie möchten es doch kaufen.«
    »Ich habe einen besonderen Grund, ich habe erst gestern davon gehört: Aber ich werde der einzige Interessent bleiben! Ich bitte Sie, das ist doch unmöglich!«
    »Ich hätte von Ihnen fünfundzwanzig verlangen sollen; aber dabei wäre das Risiko gewesen, daß Sie zurücktreten würden, und da habe ich sicherheitshalber nur zehn verlangt. Nicht eine Kopeke weniger.«
    Ich drehte mich auf dem Absatz um und ging.
    »Aber nehmen Sie doch vier

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