Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
uns alle behütet und bewahrt, als alles nur noch an einem Seidenfädchen hing. Wir hatten noch nicht ein Viertel des Weges zurückgelegt, als ich plötzlich hinter uns rufen hörte: Jemand rief mich mit Namen. Ich sah mich um – Trischatow jagte in einer Droschke hinter uns her.
»Wohin?« schrie er erschrocken, »und auch noch mit der, mit Alphonsinka!«
»Trischatow!« rief ich ihm zu. »Sie hatten recht – das Unglück ist da! Ich bin auf dem Weg zu diesem Schurken Lambert! Kommen Sie, dann sind wir einer mehr!«
»Zurück, sofort zurück!« schrie Trischatow. »Lambert betrügt Sie, und Alphonsinka auch. Mich schickt der Pockennarbige; sie sind nicht zu Hause: Ich bin soeben Werssilow und Lambert begegnet; sie sind zu Tatjana Pawlowna weitergefahren … sie sind jetzt dort …«
Ich ließ den Kutscher halten und sprang in Trischatows Schlitten. Ich begreife bis heute nicht, wieso ich mich so plötzlich entscheiden konnte, aber plötzlich war ich überzeugt und war plötzlich entschieden. Alphonsinka heulte entsetzlich, aber wir ließen sie heulen, und ich weiß nicht, ob sie uns nachgefahren ist oder sich nach Hause begeben hat, ich habe sie nie mehr gesehen.
In der Droschke teilte mir Trischatow erregt und außer Atem mit, daß eine Machination im Gange sei und daß Lambert mit dem Pockennarbigen ein Abkommen getroffen, der Pockennarbige sich aber im letzten Moment abgesetzt und Trischatow soeben zu Tatjana Pawlowna abkommandiert habe, um sie vor Lambert und Alphonsinka zu warnen. Trischatow fügte hinzu, daß er mehr nicht wisse, weil der Pockennarbige ihm sonst nichts gesagt habe, vor lauter Eile, daß dieser selbst irgendwo verabredet gewesen und daß alles Hals über Kopf zugegangen sei. »Ich habe gesehen«, fuhr Trischatow fort, »daß Sie in der Droschke saßen, und bin Ihnen nachgesetzt.« Es war klar, daß dieser Pockennarbige auch alles wußte, weil er Trischatow direkt zu Tatjana Pawlowna geschickt hatte; aber das war nun ein neues Rätsel.
Aber um jegliche Verwirrung zu vermeiden, werde ich, bevor ich die Katastrophe beschreibe, die ganze Wahrheit auf den Tisch legen und zum letzten Mal vorgreifen.
IV
Nachdem Lambert den Brief gestohlen hatte, nahm er sofort Kontakt mit Werssilow auf. Darüber, wie Werssilow sich mit Lambert einlassen konnte – darüber möchte ich einstweilen nicht sprechen: das hat noch Zeit; die Hauptsache dabei war – der ›Doppelgänger‹! Aber nachdem Werssilow sich mit Lambert eingelassen hatte, stand es Lambert bevor, möglichst geschickt Katerina Nikolajewna in die Falle zu locken. Werssilow versicherte ihm kategorisch, daß sie nicht kommen würde. Aber Lambert hatte gerade von dem Augenblick an, als ich ihn damals, vorgestern abend, auf der Straße getroffen und ihm aus lauter Renommiersucht erklärt hatte, daß ich ihr den Brief in der Wohnung Tatjana Pawlownas und in Gegenwart Tatjana Pawlownas aushändigen würde – Lambert hatte von da an die Wohnung Tatjana Pawlownas observiert – er hatte nämlich Marja bestochen. Er schenkte Marja zwanzig Rubel, und einen Tag später, nachdem das Dokument gestohlen war, hatte er Marja abermals aufgesucht, mit ihr eine endgültige Absprache getroffen und ihr für ihre Dienstleistung zweihundert Rubel in Aussicht gestellt.
Das war der Grund, warum Marja, nachdem sie vorhin gehört hatte, daß Katerina Nikolajewna um halb zwölf bei Tatjana Pawlowna eintreffen und auch bleiben würde, sofort aus dem Haus stürzte und mit dieser Nachricht in einer Mietkutsche zu Lambert eilte. Gerade darüber sollte sie Lambert Bescheid geben – darin bestand ihre Dienstleistung. Ausgerechnet in diesem Augenblick fand sich bei Lambert auch Werssilow ein. In einem Atemzug entwarf Werssilow diese teuflische Kombination. Es heißt ja, daß Wahnsinnige bei manchen Gelegenheiten unheimlich einfallsreich sind.
Diese Kombination bestand darin, daß wir beide, Tatjana und ich, um jeden Preis aus der Wohnung herausgelockt werden sollten, und sei es nur für eine Viertelstunde, aber unbedingt vor Katerina Nikolajewnas Eintreffen. Dann – auf der Straße warten und, sobald Tatjana Pawlowna und ich das Haus verlassen, die Treppe hinauf in die Wohnung eilen, die Marja ihnen öffnen würde, und auf Katerina Nikolajewna warten. Alphonsinka aber sollte uns während dieser Zeit festhalten, wo immer und wie immer sie es könnte: jedenfalls unbedingt doppelt so lange, wie wir für den Hinweg gebraucht hätten, da Katerina Nikolajewna, ihrem
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