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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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oben sagte, weil er alle Menschen für ebenso gemeine Kreaturen hielt, wie er selbst eine war. Er hatte sie vom ersten Wort an mit seiner Roheit gereizt, während sie möglicherweise nicht einmal abgeneigt gewesen war, sich auf ein Geldgeschäft einzulassen.
    »Nicht von der Stelle!« brüllte er blind vor Wut, packte sie bei der Schulter und zeigte ihr den Revolver – selbstverständlich nur zur Abschreckung. Sie schrie leise auf und sank auf den Diwan. Ich stürzte ins Zimmer, aber in derselben Minute kam durch die Korridortür Werssilow hereingerannt. (Er hatte im Korridor gestanden und gewartet.) Im Bruchteil einer Sekunde entriß er Lambert den Revolver, holte aus und schlug ihm mit dem Revolver auf den Kopf. Lambert schwankte, taumelte und fiel bewußtlos nieder; Blut floß aus seinem Kopf auf den Teppich.
    Sie aber wurde bei Werssilows Anblick plötzlich bleich wie ein Leintuch; einige Augenblicke starrte sie ihn unbeweglich an, in unaussprechlichem Entsetzen, und fiel plötzlich in Ohnmacht. Er stürzte zu ihr. Das alles sehe ich jetzt vor mir wie ein flimmerndes Bild. Ich erinnere mich, wie ich damals sein rotes, fast purpurrotes Gesicht und die blutunterlaufenen Augen wahrnahm. Ich denke, daß er mich im Zimmer zwar bemerkt, aber gleichsam nicht erkannt hatte. Er hob sie, die Ohnmächtige, mit unglaublicher Kraft wie eine Feder auf die Arme und begann, sie im Zimmer sinnlos auf und ab zu tragen wie ein Kind. Das Zimmer war winzig, aber er wanderte von einer Ecke zur anderen, offensichtlich ohne zu wissen, warum er das tat. In diesem Augenblick hatte er damals den Verstand verloren. Er starrte ununterbrochen in ihr Gesicht. Ich lief hinter ihm her, vor allem aus Angst vor dem Revolver, den er in seiner Rechten vergessen zu haben schien, dicht neben ihrem Kopf. Aber er stieß mich zuerst mit dem Ellbogen, ein anderes Mal mit dem Fuß zur Seite. Ich wollte schon Trischatow rufen, fürchtete aber, den Wahnsinnigen zu reizen. Schließlich schlug ich plötzlich die Portiere auseinander und beschwor ihn, sie auf das Bett zu legen. Er kam herein, bettete sie hin, blieb über ihr stehen, schaute aufmerksam etwa eine Minute lang ihr ins Gesicht, neigte sich plötzlich und küßte sie zweimal auf ihre blassen Lippen. Oh, endlich verstand ich, daß dieser Mensch vollkommen außer sich war. Plötzlich holte er mit dem Revolver aus, hielt inne, als käme ihm ein Gedanke, und richtete nun den Revolver auf ihr Gesicht. Augenblicklich, mit aller Kraft, packte ich ihn am Arm und schrie nach Trischatow. Ich erinnere mich: Wir beide rangen mit ihm, aber er brachte es fertig, seine Hand zu befreien, um gegen sich selbst abzudrücken. Er hatte zuerst sie und dann sich erschießen wollen. Da wir sie freigekämpft hatten, drückte er den Lauf direkt auf sein eigenes Herz, aber ich konnte gerade noch seinem Arm einen Stoß nach oben versetzen, und die Kugel traf seine Schulter. In diesem Augenblick stürzte Tatjana Pawlowna laut schreiend herein; aber er lag schon bewußtlos auf dem Teppich, neben Lambert.

Dreizehntes Kapitel
    Resümee
    I
    Jetzt liegt diese Szene fast ein halbes Jahr zurück, und vieles ist vergangen, vieles ist völlig verändert, und für mich ist schon seit langem das neue Leben angebrochen … Aber auch der Leser soll zur Ruhe kommen.
    Für mich wenigstens war sowohl damals als auch später noch die erste Frage: Wie konnte Werssilow mit jemand wie Lambert kooperieren, und welches Ziel verfolgte er damit? Nach und nach bin ich zu einer hinreichenden Erklärung gekommen: Nach meiner Ansicht war Werssilow in jenen Momenten, das heißt an jenem ganzen letzten Tag und auch am Abend vorher, ohne irgendein festes Ziel und hatte sogar, glaube ich, überhaupt nicht überlegt, sondern stand unter dem Einfluß eines Wirbelsturms von Gefühlen. Eine wirkliche Geisteskrankheit halte ich übrigens für ausgeschlossen, zumal er auch heute keineswegs geisteskrank ist. Aber den »Doppelgänger« halte ich für absolut wahrscheinlich. Was ist eigentlich ein Doppelgänger? Ein Doppelgänger ist, wenigstens nach dem medizinischen Lehrbuch eines Experten, das ich später eigens studiert habe, ein Doppelgänger ist nichts anderes als die erste Stufe einer ernstzunehmenden psychischen Erkrankung, die zu einem ziemlich schlimmen Ende führen kann. Werssilow selbst hat uns in der Szene bei Mama diese damalige »Spaltung« seiner Gefühle und seines Willens mit erschreckender Aufrichtigkeit erklärt. Aber ich wiederhole nochmals:

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