Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Versprechen gemäß, um halb zwölf eintreffen sollte. (Es versteht sich von selbst, daß Katerina Nikolajewna nie eine Einladung von Lambert erhalten und daß Alphonsinka geschwindelt hatte: genau diesen Spuk hatte sich Werssilow ausgedacht, mit allen Einzelheiten, und Alphonsinka hatte nur die Rolle einer erschrockenen Verräterin gespielt.) Natürlich, das Risiko war hoch, aber ihre Rechnung war richtig: »Klappt es – gut, klappt es nicht – haben wir noch nichts verloren, weil das Dokument trotzdem in unseren Händen ist.« Aber es klappte, und es konnte nur klappen, denn wir konnten unmöglich Alphonsinka nicht nachlaufen, schon allein wegen der Vermutung: »Und wie, wenn es doch wahr ist!« Ich wiederhole abermals: Zum Überlegen hatten wir keine Zeit.
V
Trischatow und ich stürmten in die Küche und fanden eine erschrockene Marja. Sie war entsetzt, weil sie, als sie Lambert und Werssilow hereinließ, in Lamberts Händen plötzlich einen Revolver erspähte.
Obwohl sie sich bezahlen ließ, paßte ein Revolver keineswegs in ihre Rechnung. Sie wußte sich nicht zu helfen, und kaum hatte sie mich erblickt, stürzte sie mir schon entgegen:
»Die Generalin ist gekommen, und die haben eine Pistole!«
»Trischatow, bleiben Sie hier in der Küche«, ordnete ich an, »und sobald ich schreie, kommen Sie mir so schnell wie möglich zur Hilfe.«
Marja öffnete mir die Tür zu dem kleinen Korridor, und ich schlüpfte in Tatjana Pawlownas Schlafzimmer, in jene Kammer, in der nur Tatjana Pawlownas Bett Platz hatte und in der ich schon einmal unbeabsichtigt gelauscht hatte. Ich setzte mich aufs Bett und suchte sofort einen Spalt in der Portiere.
Aber im Zimmer wurde bereits gelärmt und laut gesprochen; ich muß bemerken, daß Katerina Nikolajewna genau eine Minute nach ihnen gekommen war. Lärm und Stimmen hatte ich schon in der Küche vernommen; Lambert schrie. Sie saß auf dem Sofa, er stand vor ihr und schrie, als wäre er nicht bei Sinnen. Jetzt weiß ich, warum er sich so töricht benahm: Er beeilte sich und fürchtete, sie könnten überrascht werden; im folgenden werde ich erklären, vor wem er eigentlich Angst hatte. Den Brief hielt er in der Hand. Aber Werssilow war nicht im Zimmer; ich stellte mich darauf ein, beim ersten Anzeichen von Gefahr hervorzustürzen. Ich gebe die Reden nur sinngemäß wieder, vielleicht ist mir auch manches entgangen, aber damals war ich viel zu erregt, um alles ganz genau zu behalten.
»Dieser Brief kostet dreißigtausend Rubel, und Sie wundern sich! Er ist hunderttausend wert, und ich verlange nur dreißigtausend!« sagte Lambert laut und schrecklich erregt.
Katerina Nikolajewna war zwar sichtlich erschrocken, musterte ihn aber mit verächtlichem Staunen.
»Ich sehe, daß man mir hier irgendeine Falle gestellt hat, und ich verstehe nichts«, sagte sie, »aber wenn sich dieser Brief tatsächlich in Ihrem Besitz befindet …«
»Hier, Sie sehen es doch selbst! Ist er es etwa nicht? Ein Wechsel über dreißigtausend, und keine Kopeke weniger!« unterbrach sie Lambert.
»Ich habe kein Geld.«
»Sie stellen einen Wechsel aus – hier ist Papier. Und anschließend gehen Sie und beschaffen sich das Geld, ich werde warten, aber höchstens eine Woche – nicht länger. Ist das Geld da – bekommen Sie den Wechsel von mir und dann auch den Brief.«
»Sie sprechen mit mir in einem so merkwürdigen Ton. Sie täuschen sich. Man wird Ihnen heute noch dieses Dokument abnehmen, wenn ich fahre und mich beschwere.«
»Bei wem denn? Ha-ha-ha! Und der Skandal, und der Fürst, dem wir den Brief zeigen! Wo will man mir den Brief abnehmen? Ich verwahre keine Dokumente in der Wohnung. Dem Fürsten werde ich es durch eine dritte Person zeigen lassen. Seien Sie nicht dickköpfig, gnädige Frau, seien Sie dankbar, daß ich noch so wenig verlange, ein anderer hätte sich außerdem noch andere Gefälligkeiten erbeten … Sie wissen, welche … solche, die keine einzige hübsche Frau unter bedrängenden Umständen verweigert, eben solche … He-he-he! Vous êtes belle, vous !«
Katerina Nikolajewna erhob sich stürmisch, errötete über und über und – spuckte ihm ins Gesicht. Darauf ging sie rasch auf die Tür zu. Da aber zog Lambert, dieser Narr, den Revolver aus der Tasche. Er hatte blind, wie ein beschränkter Dummkopf, an den Effekt des Dokuments geglaubt, das heißt – das war die Hauptsache – er hatte unterschätzt, mit wem er es zu tun hatte, gerade deshalb, wie ich schon
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