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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Freund, ganz im Gegenteil, und wenn du so willst, freue ich mich über deinen Einfallsreichtum; ich schwöre, daß ich mich gerade jetzt in einer höchst reumütigen Stimmung befinde und gerade jetzt, in dieser Minute, vielleicht schon zum tausendsten Mal alles vor zwanzig Jahren Geschehene ohnmächtig bedaure. Außerdem, Gott ist mein Zeuge, ist das alles im höchsten Maße unverhofft geschehen … nun, und später, soweit das in meinen Kräften lag, auch human; jedenfalls, wie ich mir damals eine Tat der Humanität vorgestellt habe. Oh, wir alle kochten damals vor Eifer nach guten Werken, nach dem Dienst an bürgerlichen Zielen und einer hehren Idee; wir verurteilten Ränge, unsere Adelsrechte, Landgüter und sogar Kredite, jedenfalls einige von uns … Das schwöre ich dir. Wir waren wenige, aber wir hielten gute Reden und haben, das versichere ich dir, gelegentlich sogar gut gehandelt.«
    »Als Sie an seiner Schulter schluchzten?«
    »Mein Freund, ich bin mit dir im voraus in allem einverstanden; übrigens, das von der Schulter hast du von mir selbst gehört, folglich mißbrauchst du in diesem Moment meine Treuherzigkeit und mein Vertrauen; aber du mußt zugeben, daß diese Schulter wirklich gar nicht so schlecht war, wie es auf den ersten Blick scheint, besonders für die damalige Zeit; wir haben doch damals erst einen Anfang gemacht. Natürlich habe ich mich aufgespielt, aber damals habe ich noch nicht gewußt, daß ich mich aufspiele. Kommt es denn niemals vor, daß du dich bei praktischen Gelegenheiten aufspielst?«
    »Ich war unten vorhin gefühlsduselig geworden und genierte mich, als ich heraufkam, bei dem Gedanken, Sie könnten denken, daß ich mich aufspiele. Stimmt, in manchen Fällen fühlt man zwar aufrichtig, spielt sich aber dennoch auf; unten aber war alles reine Natur, das schwöre ich.«
    »Genau das ist es; du hast es sehr treffend in aller Kürze definiert: ›Man fühlt zwar aufrichtig, spielt sich aber dennoch auf‹; genau so ist es mir damals ergangen: Obwohl ich mich aufspielte, schluchzte ich völlig aufrichtig. Ich gebe zu, daß Makar Iwanowitsch diese Schulter für den verruchtesten Hohn hätte halten können, wenn er nur scharfsinniger gewesen wäre; aber seine Ehrlichkeit stand damals seinem Scharfsinn im Weg. Ich weiß nur nicht, ob ich ihm damals leid tat oder auch nicht; ich erinnere mich, daß es mir damals sehr recht gewesen wäre.«
    »Wissen Sie«, fiel ich ihm ins Wort, »auch jetzt, während Sie das sagen, machen Sie sich lustig. Überhaupt, die ganze Zeit, während Sie mit mir sprachen, haben Sie sich lustig gemacht. Wozu haben Sie das getan, wann immer Sie mit mir sprachen?«
    »Glaubst du?« antwortete er milde. »Du bist sehr argwöhnisch; übrigens, wenn ich auch lache, dann doch nicht über dich oder wenigstens nicht über dich allein, beruhige dich. Aber jetzt lache ich nicht, und damals – mit einem Wort, ich hatte damals alles getan, was ich tun konnte, und nicht zu meinem Nutzen, das kannst du mir glauben. Wir, das heißt die Schöngeister, im Gegensatz zum Volk, hatten damals nicht die geringste Ahnung, wie man seinen Vorteil wahrnimmt: Im Gegenteil, wir schadeten uns, wo und wie es ging, und ich vermute, daß gerade das damals uns als ›unser höchster, ureigenster Vorteil‹ galt, selbstverständlich im höheren Sinne. Die heutige Generation progressiv Denkender ist unvergleichlich raffgieriger, als wir es waren. Ich hatte damals, noch vor dem Fehltritt, Makar Iwanowitsch alles mit äußerster Aufrichtigkeit erklärt. Jetzt gebe ich zu, daß vieles davon überhaupt nicht hätte erklärt werden sollen, noch dazu mit solcher Offenheit: Von der Humanität abgesehen, wäre es sogar höflicher gewesen; aber wie soll man sich beherrschen, wenn man mitten im Tanzen einen besonders schönen Pas aufs Parkett legen will? Vielleicht sind dies in der Tat die Forderungen des Schönen und Erhabenen, diese Frage konnte ich mein Leben lang nicht beantworten. Freilich, das ist ein viel zu tiefes Thema für unsere oberflächliche Unterhaltung, aber ich schwöre dir, daß ich jetzt manchmal vor Scham vergehe, wenn ich mich daran erinnere. Ich hatte ihm damals dreitausend Rubel angeboten, und ich weiß noch, daß er hartnäckig schwieg und mich allein reden ließ. Stell dir vor, ich hatte mir eingebildet, daß er sich vor mir fürchtet, das heißt, vor meinem Recht als Gutsherr, und ich weiß noch, daß ich mich mit allen Kräften bemühte, ihn zu ermutigen; ich redete ihm zu,

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