Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
vergangenen Jahr testamentarisch vermacht hat. Er hatte Werssilow sogar schon damals durchschaut.)
»Haben Sie nicht erzählt, daß Makar Iwanowitsch Sie einige Male besucht hat und jedesmal in Mutters Wohnung abgestiegen ist?«
»Jawohl, mein Freund. Und ich muß gestehen, daß ich mich anfangs vor diesen Besuchen entsetzlich fürchtete. In dieser ganzen Zeit, in den zwanzig Jahren, ist er nur sechs- oder siebenmal aufgetaucht, und bei seinen ersten Besuchen habe ich mich, wenn ich gerade zu Hause war, einfach versteckt. Ich habe anfangs nicht gewußt, was das zu bedeuten hatte und warum er erschien. Aber im Laufe der Zeit, nach einigem Überlegen, kam es mir so vor, als ob es seinerseits keineswegs so dumm war. Dann, rein zufällig, kam ich, von Neugier getrieben, auf die Idee, ihn zu begrüßen, ich zeigte mich und, ich versichere dir, nahm einen außerordentlich originellen Eindruck mit. Das war bereits sein dritter oder vierter Besuch, ausgerechnet in jener Epoche, als ich mich auf die Aufgaben eines Friedensrichters vorbereitete und mich selbstverständlich mit aller Energie dem Studium Rußlands widmete. Ich habe sogar außerordentlich viel Neues aus seinem Munde gehört. Außerdem fand ich in ihm ausgerechnet das, was ich niemals zu finden erwartet hatte: eine Milde, eine Ausgeglichenheit und, was besonders erstaunlich war, eine Art Frohsinn, ohne die leiseste Anspielung auf das Gewisse ( tu comprends? ), und das unverkennbare Talent, sich sachlich auszudrücken, und zwar vortrefflich auszudrücken, ohne den bei dem Hofgesinde gewohnten albernen Tiefsinn, den ich, zugegeben, ungeachtet meiner demokratischen Gesinnung, nicht ausstehen kann, und ohne all diese gestelzten Russizismen, deren sich in Romanen und auf der Bühne unsere ›echten russischen Menschen‹ bedienen. Dabei auffallend wenig über Religion, es sei denn, man fing davon an, und sogar in ihrer Art ganz reizende Erzählungen über Klöster und klösterliches Leben, wenn man sich dafür interessierte. Und vor allem – Ehrfurcht, jene bescheidene Ehrfurcht, jene Ehrfurcht nämlich, die eine Voraussetzung für eine höhere Gleichheit ist, mehr noch, ohne die, meiner Meinung nach, niemand den ersten Platz erreicht. Dadurch, durch das Fehlen der geringsten Überheblichkeit, wird der höchste Anstand erreicht, und es erscheint ein Mensch, der sich selbst achtet, ohne an seiner Situation, wie sie auch sei, und an seinem Los, wie es auch ausfalle, zu zweifeln. Diese Fähigkeit, sich selbst zu achten, gerade in seiner persönlichen Situation – die ist auf der Welt sehr selten, jedenfalls ebenso selten wie die wahre eigene Würde … Du wirst das sehen, wenn du älter wirst. Aber was mich später am meisten überraschte, eben später und nicht am Anfang«, (fügte Werssilow hinzu), »daß Makar eine außerordentlich stattliche Erscheinung war, und ich versichere dir, außerordentlich gut aussah. Freilich, er war alt, aber
Aufrecht, groß und braungebrannt ,
von schlichtem und würdevollem Benehmen; ich wunderte mich sogar über meine arme Sofja, wieso sie mich damals ihm vorgezogen hatte; damals war er fünfzig gewesen, aber immer noch ein Prachtkerl, und ich im Vergleich zu ihm ein Windhund. Allerdings weiß ich noch, daß er schon damals unerlaubt grau war, also muß er sie schon grauhaarig geheiratet haben … Vielleicht hat das eine Rolle gespielt.«
Dieser Werssilow hatte die übelste Gewohnheit der höheren Kreise: Man sagt einige sehr kluge und schöne Dinge (wenn es sich nicht vermeiden läßt), um plötzlich mit einer bêtise zu schließen, in diesem Fall mit der Bemerkung über Makar Iwanowitschs graues Haar und seine Wirkung auf meine Mutter. Er tat das absichtlich, wahrscheinlich aus Gewohnheit an die alberne gesellschaftliche Marotte. Wenn man ihm zuhörte, glaubte man, er spräche sehr ernsthaft, im stillen aber schnitt er Grimassen oder machte sich lustig.
III
Ich begreife nicht, warum mich damals plötzlich ein furchtbarer Zorn packte. Ich erinnere mich überhaupt mit großem Mißbehagen an einige meiner Ausfälle in jenen Minuten; plötzlich erhob ich mich von meinem Stuhl.
»Wissen Sie«, sagte ich, »Sie sagen, Sie seien vor allem meiner Mutter wegen gekommen. Sie soll denken, wir hätten uns versöhnt. Nun ist genügend Zeit verstrichen, daß sie das denken kann; würden Sie die Freundlichkeit haben, mich allein zu lassen?«
Er errötete leicht und erhob sich.
»Mein Lieber, du machst mit mir wirklich keine Umstände.
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