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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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ich mir manchesmal seine Miene gar nicht deuten konnte. »Sie war es nie! Die russische Frau ist niemals eine Frau!«
    »Die Polin, die Französin, die sollen eine sein? Oder die Italienerin, eine leidenschaftliche Italienerin, ist es die, die den zivilisierten Russen aus dem russischen höchsten Milieu, einen Werssilow, zu fesseln vermag?«
    »Wie hätte ich erwarten sollen, einem Slawophilen zu begegnen?« lachte Werssilow.
    Ich erinnere mich Wort für Wort an seine Geschichte; er redete gern, sogar sehr gern, und mit sichtlichem Vergnügen. Es war mir nur allzu klar, daß er mich nicht, um zu plaudern, und schon gar nicht, um meine Mutter zu beruhigen, aufgesucht hatte, sondern bestimmt um anderer Ziele willen.
    II
    »Wir haben unsere ganzen zwanzig Jahre, ich und deine Mutter, vollkommen stumm verlebt«, begann er seine Causerie (im höchsten Grade gewollt und unnatürlich) »und alles, was zwischen uns geschah, verlief stumm. Der herrschende Charakter unserer zwanzigjährigen Verbindung war – Schweigen. Ich glaube, wir haben uns sogar nicht ein einziges Mal gestritten. Es ist wahr, ich war oft verreist und habe sie allein gelassen, aber es endete immer damit, daß ich zurückkehrte. Nous revenons toujours , das ist schon eine fundamentale Eigenschaft der Männer, ein Zeichen ihrer Großmut. Wenn die Institution der Ehe allein von den Frauen abhinge – nicht eine einzige Ehe hätte Bestand. Demut, Ergebenheit, ›Unterwerfen‹ und zu gleicher Zeit Festigkeit, Kraft, echte Kraft – das ist der Charakter deiner Mutter. Merk dir, daß sie die beste aller Frauen ist, denen ich auf der Welt begegnet bin. Und daß ihr diese Kraft eigen ist, das kann ich bezeugen: Habe ich doch gesehen, wie diese Kraft sie nährte. Dort, wo es sich um Überzeugungen handelt – buchstabengetreue Überzeugungen kann es bei ihnen nicht geben, sondern nur etwas, was ihnen als Überzeugung gilt und folglich auf ihre Art heilig ist, dort schrecken sie auch vor der Marter nicht zurück. Nun, sag doch selbst, sehe ich etwa wie ein Folterknecht aus? Deshalb habe ich es vorgezogen, beinahe gänzlich zu verstummen, nicht nur deshalb, weil das leichter ist, und habe es, zugegeben, noch niemals bereut. Auf diese Weise ist alles ganz von selbst großzügig und human verlaufen, so daß ich mir nicht einmal etwas zugute halten kann. Bei dieser Gelegenheit, en parenthèse, möchte ich bemerken, daß ich aus irgendeinem Grund den dunklen Verdacht habe, daß sie niemals an meine Humanität geglaubt und deswegen immer vor Angst gezittert hat; aber auch zitternd ließ sie sich von keinerlei Kultur einnehmen. Solche wie sie können das irgendwie, wir kommen da irgendwie nicht mit, und überhaupt können sie mit ihrer Lage viel besser als wir fertig werden. Sie schaffen es, auf ihre Weise in gänzlich unnatürlichen Situationen zu leben und in diesen für sie gänzlich fremden Situationen ungeschmälert sie selbst zu bleiben. Wir können das nicht.«
    »Was heißt solche wie sie? Ich verstehe Sie nicht ganz.«
    »Das Volk, mein Freund, ich spreche von dem Volk. Es hat diese große, zähe Lebenskraft und seine historische Weite sowohl moralisch als auch politisch bewiesen. Aber ich möchte, um bei unserem Thema zu bleiben, über deine Mutter bemerken, daß sie keineswegs immer schweigt; deine Mutter sagt manchmal etwas, aber wenn sie etwas sagt, dann begreift man sofort, daß man nur Zeit verloren hat, auch wenn man geschlagene fünf Jahre lang sie Schritt für Schritt dazu vorzubereiten glaubte. Allerdings sind ihre Einwände überaus verblüffend. Ich mache dich wieder darauf aufmerksam, daß ich sie keinesfalls für eine dumme Gans halte; im Gegenteil, bei ihr handelt es sich um eine bestimmte Art der Intelligenz, sogar um eine bemerkenswerte Intelligenz; es könnte übrigens sein, daß du an diese Intelligenz gar nicht glaubst …«
    »Warum nicht? Ich glaube nur nicht, daß Sie selbst an ihre Intelligenz wirklich glauben und nicht nur so tun.«
    »Wirklich? Hältst du mich für so ein Chamäleon? Mein Freund, ich erlaube dir ein wenig zuviel … wie einem verzogenen Sohn … aber für diesmal mag es dabei bleiben.«
    »Erzählen Sie mir noch von meinem Vater, aber die Wahrheit, wenn Sie das können.«
    »Von Makar Iwanowitsch? Makar Iwanowitsch ist, wie du weißt, ein Gesindeknecht, der sozusagen nach einem besonderen Ruhm trachtete …«
    »Ich wette, daß Sie ihn in diesem Moment um irgend etwas beneiden!«
    »Ganz im Gegenteil, mein

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