Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
was kommt dabei heraus? Du bist so gescheit, daß du bestimmt keinen Wert darauf legen wirst, dich in eine so dumme Lage hineinzumanövrieren. Ganz davon zu schweigen, daß ich sogar bis zu diesem Augenblick den Charakter deiner Vorwürfe nicht verstanden habe: Wirklich, was wirfst du mir eigentlich vor? Daß du nicht als Werssilow geboren bist? Ja oder nein? Du lachst verächtlich und winkst ab, also das nicht?«
»Nein, glauben Sie mir. Glauben Sie mir, daß ich es nicht für eine Ehre hielte, Werssilow zu heißen.«
»Lassen wir die Ehre aus dem Spiel; zudem muß deine Antwort ja demokratisch sein; und wenn dem so ist, was wirfst du mir eigentlich vor?«
»Tatjana Pawlowna hat vorhin alles gesagt, was ich erfahren mußte und was ich bis dahin um alles auf der Welt nicht verstehen konnte, nämlich, daß Sie mich nicht eine Schusterlehre machen ließen und daß ich dafür dankbar sein müßte. Ich kann nicht begreifen, warum ich nicht dankbar bin, auch jetzt noch, nachdem man mich aufgeklärt hat. Spricht da nicht Ihr stolzes Blut, Andrej Petrowitsch?«
»Wahrscheinlich nicht. Und außerdem mußt du zugeben, daß alle deine Ausfälle unten, die mich treffen sollten, sie allein verletzt und tyrannisiert haben. Indessen steht es dir gar nicht zu, über sie zu Gericht zu sitzen. Worin besteht eigentlich ihre Schuld dir gegenüber? Erklär mir übrigens, mein Freund: Wozu, mit welcher Absicht hast du dich in der Schule und im Gymnasium und dein ganzes Leben lang, sogar vor dem ersten besten, wie ich gehört habe, über deine illegale Geburt verbreitet? Ich habe gehört, daß du das besonders gern getan hast. Indessen ist das Unsinn und schnöde Verleumdung. Du, ein Dolgorukij, bist legitimer Sohn des Makar Iwanowitsch Dolgorukij, eines achtbaren Mannes von bemerkenswertem Verstand und Charakter. Wenn du eine höhere Bildung erhalten hast, dann dank deines ehemaligen Gutsherrn Werssilow, das stimmt, aber was folgt daraus? Vor allem hast du, indem du dich allerorten als Bastard empfahlst, was schon an sich eine Verleumdung ist, das Geheimnis deiner Mutter an die große Glocke gehängt und sie aus falschem Stolz dem Urteil der ersten besten Kanaille preisgegeben. Mein Freund, das war sehr unehrenhaft, um so mehr, als deine Mutter keinerlei persönliche Schuld trifft: Sie ist ein makellos reiner Charakter, und wenn sie keine Werssilowa ist, so einzig deswegen, weil sie bis heute verheiratet ist.«
»Genug, ich stimme mit Ihnen vollkommen überein und bin so sehr von Ihrer Vernunft überzeugt, daß ich mir die Hoffnung erlauben darf, Sie würden mich nicht allzulange weitertadeln. Es liegt Ihnen so viel am Maß; indessen gilt das Maß für alles, sogar für Ihre überraschende Liebe zu meiner Mutter. Es gibt doch etwas Besseres: Wenn Sie sich schon entschlossen haben, zu mir heraufzukommen und mit mir eine viertel oder eine halbe Stunde zu verbringen (ich weiß immer noch nicht, weshalb, gut, nehmen wir an, der Ruhe meiner Mutter wegen) –, und sich darüber hinaus so gern mit mir unterhalten, erzählen Sie mir doch, ungeachtet dessen, was sich unten abgespielt hat, lieber von meinem Vater – eben von diesem Makar Iwanowitsch, dem Pilger. Ich möchte gerade aus Ihrem Munde etwas über ihn hören; und hatte schon längst vor, Sie danach zu fragen. Beim Abschied, und zwar möglicherweise für lange, möchte ich zu gerne eine Antwort von Ihnen auf folgende Frage hören: Wie ist es möglich, daß Sie in diesen ganzen zwanzig Jahren keinerlei Einfluß auf die Vorurteile meiner Mutter, und jetzt auch meiner Schwester, ausüben konnten, um durch Ihren zivilisierenden Einfluß das Urdunkel ihres Milieus zu erhellen? Oh, ich spreche nicht von ihrer Reinheit! Sie hat Sie ohnehin schon immer moralisch überragt, pardon, aber … wie eine unendlich höher stehende Tote. Es lebt nur Werssilow, alles andere, was ihn umgibt und mit ihm verbunden ist, vegetiert und wetteifert um die Ehre, ihn mit den eigenen Kräften, den eigenen Lebenssäften zu nähren. Aber auch sie hat irgendwann einmal gelebt. Sie hatten doch einmal etwas an ihr geliebt, war sie denn nicht auch einmal eine Frau?«
»Mein Freund, wenn du so willst, war sie es nie«, antwortete er, wobei er sofort in denselben anfänglichen, früheren Umgangston mit mir verfiel, den ich so gut kannte und der mich bis zur Raserei reizte: Das heißt, er schien die Treuherzigkeit und Aufrichtigkeit in Person, aber dann entdeckte man nichts als hintergründigsten Spott, so daß
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