Ein guter Blick fürs Böse
hat? Diese Person behauptet, nachdem sie geheiratet hätten – ich benutze dieses Wort nur solange, bis ich beweisen kann, dass die Eheschließung ungültig ist –, wäre Tom krank geworden, und nach seiner Genesung wäre er geistesabwesend und vergesslich gewesen. War er vielleicht vorher schon so? War er geistesabwesend, als er die Hochzeitszeremonie über sich ergehen ließ?«
Ich fürchtete zwar, dass er nach Strohhalmen griff, doch die Möglichkeit war nicht von der Hand zu weisen. Thomas Tapley konnte durchaus bereits verwirrt oder sogar umnachtet gewesen sein, als er die Eheschließungsurkunde unterschrieben hatte. »Ich bin sicher, die französische Polizei wird das alles gründlich überprüfen«, sagte ich laut. »Sie hat Zugang zu den notwendigen Unterlagen.«
»Ich für meinen Teil verlasse mich nicht darauf!«, entgegnete Tapley ärgerlich und machte eine Geste, als schlüge er nach einer Fliege. »Ich werde selbst Nachforschungen anstellen! Im Augenblick spielt sie die Karte der loyalen, verlassenen Ehefrau und besteht auf ihren Rechten! Sein bewegliches Hab und Gut besteht aus nicht viel mehr als seinen Büchern, und die soll sie meinetwegen haben. Aber sie erhebt geradezu groteske Ansprüche auf seinen Grundbesitz! Es gibt zwei Liegenschaften in Yorkshire, aus denen Tom Einkommen bezog, und seine Investitionen. Sie scheint über alles bestens informiert.«
Er beugte sich vor. »Woher weiß sie das alles, hm? Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass mein Cousin ihr sämtliche finanziellen Details erzählt hat. Wir reden hier immerhin von einem Mann, der während der ganzen Zeit, die er im Ausland gelebt hat, regelmäßig seine gesamte Geschäftskorrespondenz zu seinen Anwälten in Harrogate geschickt hat. Er hat das getan, weil er nicht wollte, dass jemand anderes sie las! Wir reden von einem Mann, der kein neues Testament zu Gunsten seiner neuen Frau verfasst hat. Ein ganz klarer Hinweis darauf, würde ich meinen, dass er ihr nichts vermachen wollte . Von einem Mann, der diese Person absichtlich nicht ins Vertrauen gezogen hat, was sein persönliches Vermögen anging. Woher um alles in der Welt weiß sie so gut über alles Bescheid, frage ich Sie!«
Er lehnte sich zurück. »Wir werden dagegen vorgehen, Ross. Wir – ich werde mit allen Mitteln dagegen vorgehen, in Floras Namen, um Floras willen, durch sämtliche Instanzen, falls erforderlich! Gott sei Dank hat Tom keinen vorehelichen Vertrag abgeschlossen, bevor er dieses verrückte Abenteuer einging! Er war vernünftig genug, das zu vermeiden. Es ist eindeutig, dass er nicht wollte, dass sie etwas bekam, und ich werde dafür sorgen, dass es auch so bleibt!«
»Mr. Tapley«, begann ich vorsichtig. »Zwei Punkte möchte ich dazu anmerken. Erstens, weder Mrs. Jameson, die Wirtin ihres Bruders in dieser Stadt, noch meine Frau, die zu mehreren Gelegenheiten mit Ihrem Bruder gesprochen hat, gewannen den Eindruck, dass sein Geisteszustand besorgniserregend war. Genauso wenig, wie der junge Fred Thorpe in Harrogate ihn für verwirrt gehalten hat. Verängstigt und nervös, durchaus, aber das ist etwas ganz anderes, und wir dürfen nicht voreilig schließen, dass er vor seiner Frau Angst gehabt hat. Als Thorpe Ihren Cousin fragte, ob er sein Testament aktualisieren wollte, da geschah dies, weil Thorpe glaubte, dass Ihr Cousin bei genügend klarem Verstand dazu war.
Und zweitens, ich glaube, dass Ihr Cousin die Gelegenheit, in Harrogate ein neues Testament zu verfassen, deswegen nicht genutzt hat, weil er nicht wollte, dass irgendjemand von seiner zweiten Heirat erfuhr. Ich betone, Sir, wir wissen den genauen Grund noch nicht! Er muss erkannt haben, dass sein ursprüngliches Testament durch die Heirat ungültig geworden war. Vielleicht wollte er, wie Sie es sagen, seiner zweiten Frau nichts oder nicht sehr viel hinterlassen. Vielleicht wollte er auch einfach nicht, dass sie herausfand, wo er war! Er hatte nicht vor, jetzt schon zu sterben. Vielleicht hat er geglaubt, hier Zeit zu finden, um über einen Ausweg aus seiner misslichen Lage nachzudenken.«
Tapley legte die Hände auf den Elfenbeinschädel seines Gehstocks und sah mich unter hochgezogenen Augenbrauen an. »Und daraus schlussfolgern Sie was genau?«
»Ich schlussfolgere nicht, Sir, ich mutmaße lediglich. Ich mutmaße, dass es so aussieht, als wäre Ihr Cousin vor seiner Frau davongelaufen. Lag es daran, dass er der Ehe überdrüssig geworden war, oder gab es einen
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