Ein guter Blick fürs Böse
sich trägt. Sie ist so kalt wie ein Eisberg. Aber wenn sie jemanden ermordet hat, dann würde ich eher Gift als ihre Methode der Wahl vermuten. Werden Sie sich mit der französischen Polizei in Verbindung setzen, Sir?«
»Ja, ja … Sie bleiben dieser Frau auf den Fersen und werden sie ein weiteres Mal befragen. Versuchen Sie, die Lady dazu zu bringen, dass sie zugibt, einen Detektiv angeheuert zu haben, diesen Jenkins. Ah, und bevor ich’s vergesse, das hier sollten Sie sich ansehen …« Dunn hielt mir die Heiratsurkunde hin.
»Na so was …«, sagte ich, als ich das Dokument überflogen hatte. »Also war die Lady vor ihrer Ehe mit Thomas Tapley eine Mademoiselle Victorine Guillaume.« Ich gab Dunn die Urkunde zurück. »Was mich an das Pärchen mit Namen Guillaume erinnert, das Major Griffiths in The Old Hall besucht hat und solch großes Interesse an den abwesenden Besitzern des Anwesens zeigte. Sie gaben vor, Bruder und Schwester zu sein. Es ist sicher kein Zufall, dass der Familienname der gleiche ist? Nehmen wir an, Victorine war die Frau. Wer hat die Rolle ihres Bruders gespielt, und wo ist dieser ›Bruder‹ jetzt?«
»Wir sollten uns auf einen weiteren Besuch von Mr. Jonathan Tapley einstellen, schätze ich«, sagte Dunn. »Jetzt, nachdem er feststellen musste, dass seine junge Cousine, die bei ihm aufgewachsen ist, eine Stiefmutter hat.«
»Ich will verdammt sein!«, murmelte ich. »Weiß oder wusste Madame Victorine Tapley, dass ihr verstorbener Ehemann eine Tochter in London hat?«
»Sie sollten sie besser möglichst schnell fragen, Ross«, sagte Dunn. »Nur zu, worauf warten Sie noch? Stehen Sie nicht hier rum und spekulieren Sie. Schaffen Sie mir Antworten herbei!«
»Grundgütiger!«, sagte Lizzie, nachdem ich ihr am Abend zu Hause von den jüngsten Entwicklungen erzählt hatte. »Was für eine ungewöhnliche Geschichte!«
»Das scheint mir, wenn ich das so sagen darf, sehr gelinde ausgedrückt«, erwiderte ich.
»Menschenskind …«, murmelte Bessie, die in der Tür gestanden und zugehört hatte. »Wer hätte das gedacht?«
Es hätte wenig Sinn gehabt, sie in die Küche zu schicken – sie hätte nur heimlich hinter der Tür weiter gelauscht.
»Was meinst du«, sagte Lizzie langsam. »Ist es ein Zeichen für ihre Unschuld, dass sich Victorine Guillaume oder Jonathan Tapley so unversehens gemeldet haben? Und wo ist der Mann, den Miss Poole in Begleitung von Victorine im Büro von Jenkins gesehen hat?«
»Ich arbeite daran, das herauszufinden. Ich muss sehr vorsichtig zu Werke gehen. Schließlich möchte ich nicht, dass unsere französische Besucherin zurück nach Montmartre flieht, in das respektable Gasthaus, das sie dort betreibt. Abgesehen davon, Miss Poole hat die beiden Besucher nur von hinten gesehen«, glaubte ich meine Frau erinnern zu müssen. »Und nur für einen kurzen Moment. Hätte sie nicht den Hut mit den lavendelfarbenen Rosenknospen oder was auch immer so genau beschrieben, gäbe es nicht den geringsten Anlass zu der Vermutung, dass Mrs. Tapley die Frau von diesem eigenartigen Pärchen war. Abgesehen davon, es gibt sicherlich noch mehr Hüte mit lavendelfarbenen Blumen, oder nicht? Es wäre ziemlich riskant, Miss Pooles Beschreibung eines Hutes, den sie obendrein nur flüchtig gesehen hat, als stichhaltigen Beweis zu betrachten. Und stichhaltige Beweise sind es, die Dunn von mir verlangt – mit weniger gibt er sich nicht zufrieden. Schlimmer noch, er erwartet, dass ich sie beibringe, und zwar auf der Stelle!«
»Was ist mit Jonathan Tapley?«, fragte Lizzie unvermittelt. »Was wird er jetzt tun?«
»Das werden wir bestimmt sehr schnell herausfinden, Lizzie. Wenigstens das.«
»Furchtbar aufregend, diese Geschichte, nicht wahr?«, fragte Bessie von der Tür her.
KAPITEL FÜNFZEHN
Ich hatte Recht mit meiner Vermutung, dass Jonathan Tapley unverzüglich bei Scotland Yard vorsprechen würde. Gleich am nächsten Morgen tauchte er auf.
»Ich muss später zum Gericht, Inspector«, sagte er. »Ich habe also im Augenblick wenig Zeit, um mit Ihnen über die Situation zu sprechen. Aber es ist von größter Bedeutung, dass Sie verstehen, welch ein Desaster das alles ist! Ich bin eigens hergekommen, um Sie zu fragen, was Sie deswegen zu tun gedenken?« Er klopfte mit der Metallspitze seines Gehstocks auf den Boden. Ich hatte halb befürchtet, er würde ihn erheben und damit auf mich zielen.
Das Klopfen des Metalls auf den Dielenbrettern bewirkte das Erscheinen von
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