Ein guter Blick fürs Böse
Biddles alarmiertem Gesicht in der Tür. Ich signalisierte dem jungen Constable, dass alles in Ordnung war.
»Wir gehen der Behauptung der Dame nach und prüfen den Wahrheitsgehalt, Sir«, sagte ich zu Tapley. »Wir werden die französische Polizei bitten zu bestätigen, dass die Eheschließung zwischen den beiden Parteien tatsächlich stattgefunden hat und am Ort des Geschehens zum angegebenen Zeitpunkt offiziell registriert wurde. Ich denke, Superintendent Dunn beabsichtigt auch, heute noch jemanden bei der französischen Botschaft zu bitten, einen Blick auf die Heiratsurkunde zu werfen und die Echtheit zu begutachten. Ich muss allerdings sagen, Sir, dass sowohl der Superintendent als auch ich ziemlich sicher sind, dass sich die Urkunde als echt erweist. Ihre Authentizität ist so leicht zu überprüfen, dass Mrs. Victorine Tapley sehr töricht wäre, andernfalls damit zu uns zu kommen und sie vorzulegen.«
Tapleys Auftreten wurde zunehmend cholerisch. » Mrs. Victorine Tapley …? Diese Person kann unmöglich die Witwe von Thomas sein, das steht völlig außer Frage!« Die Metallspitze des Gehstocks klopfte erneut auf die Dielenbretter, doch diesmal tauchte Biddle nicht wieder auf.
»Nein, Sir, es steht eben nicht außer Frage«, entgegnete ich ruhig. »Sie haben mir selbst erzählt, Ihr Cousin wäre geübt darin gewesen, gutherzige Damen zu finden, die sich um ihn kümmerten.«
»Ich würde diese … diese Person nicht als gutherzig beschreiben!«, schnaufte Jonathan Tapley. »Die Damen, die sich in der Vergangenheit um sein Wohlergehen gekümmert haben, waren ohne Ausnahme äußerst respektabel! Seine Frau – seine erste Frau, heißt das, falls wir seine zweite Heirat wirklich akzeptieren müssen – kam aus einer sehr angesehenen Familie. Ich bezweifle sehr, dass das für die Person zutrifft, die mich gestern in meiner Kanzlei aufgesucht hat!«
»Ich bin geneigt, Ihnen beizupflichten, Sir. Allerdings haben Sie mir gegenüber auch erklärt, dass die erste Hochzeit Ihres Cousins das Ergebnis reiner Notwendigkeit war, um seine wahren Neigungen zu verschleiern. Ich nehme an, diese zweite Heirat geschah ebenfalls aus Notwendigkeit. Nicht, weil das Gesetz in Frankreich die Art von Aktivitäten verbietet, derer Ihr Cousin beschuldigt wurde, im Gegensatz zum englischen Gesetz, sondern weil er älter geworden war, weil seine Gesundheit nicht mehr so robust war und weil er ein bestelltes Heim und eine Frau brauchte, die sich um seine alltäglichen Belange kümmerte und ihn im Krankheitsfall pflegte, wie es Mrs. Victorine tat. Ein jüngerer, attraktiverer Mann hätte all das möglicherweise auch ohne Heirat bekommen. Ihr Cousin nicht. Die Dame hat mit ziemlicher Sicherheit darauf bestanden.«
»Tom war ein Narr!«, schimpfte Jonathan Tapley bitter. »Er war ein Narr, sich in eine Situation wie diese zu bringen. Er war ein doppelter Narr, weil er kein neues Testament aufgesetzt hat, wie Fred Thorpe es ihm vorschlug in der Annahme, das existierende müsste aktualisiert werden. Doch das war nicht genug! Er hätte ein vollkommen neues Testament verfassen müssen! Durch seine zweite Heirat ist das erste Testament ungültig geworden. Und er starb ohne ein Vermächtnis! Ist Ihnen eigentlich bewusst, was das bedeutet, Inspector? Victorine Guillaume – ich weigere mich, sie als eine Tapley zu akzeptieren – hat beträchtliche Ansprüche auf das Erbe! Wir werden sie natürlich anfechten, um Floras willen. Meiner Meinung nach sollte diese Victorine Guillaume nicht einen Penny sehen! Moralisch gesehen ohnehin nicht. Sie waren nicht länger ein Paar. Er war hier in England, sie in Frankreich. Es ist offensichtlich, dass Tom die Ehe als gescheitert betrachtete …« Er schnaubte. »Falls sie überhaupt je gültig war, trotz allem, was Sie dazu gesagt haben!«
»Die Urkunde, welche Mrs. Tapley vorgelegt hat, scheint echt zu sein«, erinnerte ich ihn. »Auch wenn wir bislang noch nichts von der französischen Polizei gehört haben …«
»Das Dokument an sich, das Papier mag ja echt sein!«, unterbrach er mich unhöflich. »Aber war die Zeremonie gültig? Waren beide Parteien frei, einen solchen Kontrakt einzugehen? Wir dürfen annehmen, dass dies für Tom gilt, dass er heiraten durfte, aber wurde er irgendwie erpresst? Was diese Victorine Guillaume angeht, was wissen wir schon von ihr? Und dann ist da noch die Frage von Toms Geisteszustand. War er sich der Konsequenzen seines Tuns bewusst, als er sie geheiratet
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