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Ein guter Blick fürs Böse

Ein guter Blick fürs Böse

Titel: Ein guter Blick fürs Böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Granger
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Essenszeit hergekommen war, und verlieh meiner Hoffnung Ausdruck, sie nicht über Gebühr von der Tafel abzuhalten.
    Sie winkte anmutig mit der Hand, eine Geste, die entweder meine Entschuldigung oder den Geruch nach gekochtem Gemüse vertreiben sollte.
    »Es ist nicht wichtig, Inspector. Ich habe wenig Appetit. Das Hotel hat einen Salon, dort drüben.« Sie deutete mit einer in einem schwarzen, fingerlosen Seidenhandschuh steckenden Hand in die entsprechende Richtung. »Er wird nur selten benutzt, und vielleicht könnten wir uns dorthin zurückziehen.«
    Der Salon roch nach muffiger, abgestandener Luft, wie es häufig bei Zimmern wie diesem in Hotels der Fall war. Das Mobiliar sah unbequem aus. Das einzige Gemälde an der Wand zeigte eine düstere, nebelverhangene Landschaft mit Vieh auf der Weide. Gäste wurden nicht ermuntert, sich länger hier aufzuhalten, und zusammen mit dem abgestandenen Geruch war das wohl auch der Grund, warum der Raum nicht benutzt wurde. Allerdings lag auf dem staubigen Tisch eine Ausgabe der heutigen Zeitung. Die Witwe von Thomas Tapley ließ sich unter Seidenrascheln auf einen Sessel sinken. Ich bemerkte einen gewissen Veilchenduft, Parma-Veilchen. Lizzie hatte eine ganze Flasche davon.
    »Wie geht es Ihnen heute ansonsten, Madame?«, erkundigte ich mich höflich, während ich ihr gegenüber Platz nahm.
    »Abgesehen von mangelndem Appetit und meiner Trauer?«, entgegnete sie sarkastisch. »Gut geht es mir ansonsten, Inspector. Gut. Ich habe etwas zu wenig geschlafen.«
    »Das ist verständlich. Darf ich fragen, Madame, wo Sie unsere Sprache so exzellent gelernt haben?«
    Ein leichtes Lächeln spielte um ihre Lippen. »So, wie ich heute vor Ihnen sitze, Inspector, würden Sie vermutlich nie auf den Gedanken kommen, dass ich in meiner Jugend Tänzerin war. Oh, durchaus eine respektable Tänzerin. Auch wenn ich heute ein Gasthaus in Montmartre betreibe, war ich nie eine von jenen jungen Frauen, die die Beine auf so unschickliche Weise in die Höhe warfen, wie man es beim Cancan sieht, in den Cabarets von Montmartre und auch in Montparnasse. Diese Frauen sind so schlecht wie ihr Ruf. Nein, ich war eine petit rat bei der Opéra, eine Balletttänzerin. Die Opéra wurde von Louis XIV. gegründet, wussten Sie das?«, fügte sie stolz hinzu. »Der offizielle Name hat unzählige Male gewechselt, genau wie bei den Theatern, aber sie war immer als die Opéra bekannt. Ich bin stolz darauf, Mitglied gewesen zu sein, auch wenn ich nur eine kleine, unbedeutende Tänzerin bei der Ballettabteilung war. Später, als ich größer und schwerer wurde, verlor ich meine Anstellung bei der Ballettabteilung. Ich ging nach England und wurde hier bei verschiedenen Corps de Ballet engagiert. Dort lernte ich die Sprache. Doch das Arbeitsleben einer Tänzerin ist kurz, Monsieur. Ich war besonnen genug, Geld zu sparen, und ich kehrte nach Frankreich zurück und kaufte meinen kleinen Gasthof.«
    »Mr. Jenkins dachte, Sie wären der Sprache nicht besonders mächtig«, sagte ich gelassen.
    Das brachte sie für einen kurzen Moment ins Grübeln. »Mr. Jenkins ist kein besonders intelligenter Mann«, erwiderte sie dann. »Ihm ist wahrscheinlich nie in den Sinn gekommen, dass ich seine Sprache flüssig spreche. Er bestand darauf, in seinem entsetzlichen Französisch mit mir zu reden. Ich habe nicht die leiseste Vorstellung, wo er das gelernt hat. Vermutlich – nach den Worten zu urteilen, die er benutzt hat – in irgendwelchen zweifelhaften Hafenbars.«
    »Dann streiten Sie also nicht ab, Madame, die Person zu kennen, von der ich spreche? Und dass Sie Mr. Jenkins engagiert haben, um nach Ihrem Ehemann zu suchen?«
    »Nein, Inspector. Ich streite es nicht ab.«
    »Sie haben gestern nichts dergleichen erwähnt.«
    »Gestern, Inspector, haben wir uns auch nicht über die Einzelheiten meiner Suche nach Thomas unterhalten. Hätten Sie mich gestern gefragt, hätte ich Ihnen die gleiche Antwort gegeben wie heute. Warum sollte ich abstreiten, Mr. Jenkins engagiert zu haben?«
    »Wie sind Sie an die Detektivagentur von Mr. Jenkins gekommen?«
    Sie zuckte die Schultern. »Am Empfangsschalter des Hotels gibt es ein kleines Anschlagbrett, wo die Leute Nachrichten hinterlassen. Seine Karte hing dort. Ich dachte, es wäre einen Versuch wert. Aber wie sich herausstellte, war er ein Gauner.«
    »Ein Gauner, der nichtsdestotrotz Ihren Ehemann für Sie fand, Madame …«, erinnerte ich sie.
    Ihre Augen blitzten. »Nein, Inspector,

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