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Ein guter Blick fürs Böse

Ein guter Blick fürs Böse

Titel: Ein guter Blick fürs Böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Granger
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Fast jeden Tag unternahm er einen ausgedehnten ›Ertüchtigungsspaziergang‹, wie er es nannte. Ich denke, an regnerischen Tagen hat er öffentliche Bibliotheken oder Museen aufgesucht. Oft brachte er Bücher mit nach Hause, die er bei Straßenständen gekauft hatte. Einmal zeigte er mir einen besonders schönen, in Leder gebundenen Band, den er nach seinen Worten für Sixpence von einem Mann erworben hatte, der in Whitechapel Bücher aus einem Karren heraus verkaufte. Mr. Tapley hat viel gelesen.
    Das ist alles, was ich dazu sagen kann. Es gab zu keinem Zeitpunkt Anzeichen, es könnte etwas nicht stimmen. Es scheint selbst jetzt noch ganz und gar unmöglich, dass so etwas passieren konnte. Ich denke nicht, dass ich jemals wieder einen Untermieter bei mir aufnehmen kann.«
    Elisabeth Martin Ross
    Mrs. Jameson hatte gerade erst aufgehört zu erzählen und wischte sich die Tränen von den Wangen, als ein lautes Geräusch an der Vordertür erklang und uns alarmiert aufschrecken ließ. Mrs. Jameson sprang auf und sah mich mit gehetztem Blick an. Ich bedeutete ihr, sich wieder zu setzen und hier im Salon zu warten, während ich nachsehen ging, wer an der Tür war. Vermutlich, so beruhigte ich die Witwe, war Ben mit den Beamten vom Scotland Yard zurückgekehrt. Sie sank nicht völlig überzeugt auf ihren Stuhl zurück. Ich hatte ebenfalls Zweifel, dass Ben schon zurück war. Es war kaum ausreichend Zeit vergangen, um den Yard zu erreichen, geschweige denn zurückzukehren. Daher trat ich zum Fenster und spähte nach draußen. Vor der Tür wartete eine stämmige Gestalt in einem Umhang und mit einem Polizeihelm auf dem Kopf.
    Beruhigt öffnete ich die Tür. Auf der Schwelle stand ein Constable, der den Türrahmen beinahe gänzlich ausfüllte. Von seinem Umhang perlten Regentropfen. Ich sah an ihm vorbei und stellte fest, dass es angefangen hatte zu nieseln und die Straße nass war.
    »Dies dürfte der Haushalt sein, wo sich der Zwischenfall ereignet hat?«, erkundigte sich der Neuankömmling und trat einen Schritt vor.
    Ich hatte nicht die Absicht, mich beiseiteschieben zu lassen. »Wer sagt das? Und wer sind Sie überhaupt?«, fragte ich unfreundlich.
    Er bedachte mich mit einem herablassenden Blick. »Ich bin Constable Butcher, Ma’am, und das …«, er deutete auf die hinter ihm liegende Straße, »… das hier ist Teil meines Reviers. Ich befand mich auf meiner üblichen Streife und war gerade am anderen Ende, wo ich einem Inspector vom Yard begegnete, der mir sagte, dass ich umgehend hier vorbeischauen sollte. Es hätte einen Vorfall gegeben, und man müsste ermitteln. Also bin ich hier, und ich wäre Ihnen sehr verbunden, Ma’am, wenn Sie mir gestatten würden einzutreten. Derzeit behindern Sie mich nämlich bei der Arbeit. Sind Sie die Eigentümerin des Hauses?«
    »Nein, ich bin Mrs. Ross, die Ehefrau des Inspectors, der Sie hergeschickt hat. Die Eigentümerin heißt Mrs. Jameson, und sie wartet im Salon … Und bei dem Vorfall , auf den Sie sich beziehen, handelt es sich um einen ermordeten Mann in einem Zimmer im ersten Obergeschoss.«
    Es gelang mir nicht, meinen verärgerten Tonfall zu unterdrücken, doch ich trat einen Schritt zur Seite und ließ ihn ein. Hinter mir erschien Mrs. Jameson in der Tür zum Salon. Der Beamte trampelte an uns vorbei, schälte sich aus seinem Umhang und zögerte kurz, dann faltete er ihn vorsichtig zusammen und hängte ihn sich über den Arm, von wo aus die Nässe auf den Boden der Eingangshalle zu tropfen anfing. Mrs. Jameson stieß einen leisen protestierenden Laut aus.
    »Ob es sich um einen Mordfall handelt, Ma’am, muss erst noch festgestellt werden. Solange diese Frage nicht vom Coroner beantwortet worden ist, handelt es sich um einen Zwischenfall. Wo befindet sich der Verstorbene? Die Treppe hoch, sagten Sie?« Er wandte sich in Richtung Treppe.
    »Mein Mann … Inspector Ross bat mich sicherzustellen, dass niemand nach oben geht, bevor er zurück ist!«, sagte ich laut.
    Constable Butcher blieb stehen und blickte sich zu mir um, den Stiefel bereits auf der ersten Stufe. »Er hat damit nicht das Gesetz gemeint, Ma’am!« Sein Blick war nun genauso herablassend wie sein Ton.
    Ich musste ohnmächtig mitansehen, wie er die Stufen hinaufstieg. Ich konnte hören, wie er hin und her trampelte, und schließlich hörte ich ihn laut ausrufen: »Ach du Scheiße!« In der Folge war zu hören, wie er Türen öffnete und schloss, vermutlich auf der Suche nach dem Täter.

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