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Ein guter Blick fürs Böse

Ein guter Blick fürs Böse

Titel: Ein guter Blick fürs Böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Granger
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her. Es entspann sich eine ebenso muntere wie verrückte Jagd. Mas huschte über uns über die Dächer und sprang mit der gleichen athletischen Eleganz wie schon zuvor von einem Dach zum nächsten. Wir rannten und stolperten ihm fluchend unten am Boden hinterher, während wir auf den Moment warteten, wo es kein Dach mehr gab, auf das er springen konnte. Die Masse der Schaulustigen, unter ihnen die Gäste aus dem Silver Anchor, schwoll mit jeder Taverne an, die wir passierten. Sie verfolgten uns trotz mehrfacher wütender Aufforderungen, sich fernzuhalten. Sie behinderten unser Vorankommen – absichtlich, wie ich zu behaupten wage – und riefen dem Flüchtenden ermutigenden Zuspruch hinterher.
    Wir erreichten das Ende der Reihe von Gebäuden. Das letzte Haus stand an einem Kai, und dahinter lag der Fluss mit seinem dunklen Wasser, das leise gurgelnd und plätschernd gegen die Steinmauer schwappte.
    »Jetzt muss er herunterkommen«, sagte Morris. »Jemand soll eine Leiter holen! Hey, Sie da oben!«, fügte er schroff an die Adresse des Flüchtigen hinzu. »Bleiben Sie, wo Sie sind! Wir kommen Sie holen!«
    Mas verspürte nicht die geringste Lust, unserer Aufforderung Folge zu leisten. Er war in seinem Element, so dicht am Wasser. Wir sahen seine schlanke Gestalt hoch aufgerichtet am Ende des Dachfirsts stehen. Er hob die Arme, und wir verstummten voller Ehrfurcht und Staunen, als er deutlich sichtbar vor dem hellen Mond nach vorn sprang, um mit dem Kopf voran in hohem Bogen durch die Luft zu segeln. Wie durch ein Wunder übersprang er den Kai und landete im schmutzigen, trüben Wasser der Themse.
    Es gab eine gewaltige Fontäne, und alle, die in der Nähe gestanden hatten, wurden klatschnass. Wir rannten zur Mauer. Laternen wurden ausgestreckt. Die Wasseroberfläche war schwarz, unruhig und glänzte vor Öl. Unrat tanzte auf den Wellen. Vertäute Boote schaukelten und knarrten im Wellengang. Nichts, aber auch gar nichts sah aus wie der Kopf eines wassertretenden Mannes oder eines sich vom Ufer entfernenden Schwimmers.
    »Er kann eine Weile unter Wasser bleiben«, murmelte ich. »Aber nicht für immer.«
    »Er hat wahrscheinlich das Bewusstsein verloren und ist ertrunken«, murmelte Morris, als die Sekunden verrannen.
    »Nein, Sir, sehen Sie nur!«, rief einer der Kollegen von der River Police und zeigte mit dem Finger auf eine Stelle.
    Und tatsächlich, dort draußen, in einiger Entfernung vom Ufer, konnten wir im Licht der Buglaterne eines vertäuten Bootes sehen, wie das Wasser schäumte und sich ein Schwimmer mit kraftvollen Schlägen voranbewegte.
    Vielleicht war es seine Absicht, sich zwischen den Booten zu verstecken, bis wir seine Fährte verloren hatten, um sodann an einer anderen Stelle wieder an Land zu gehen. Vielleicht hätte er damit sogar Erfolg gehabt. Doch Matrosen an Bord einer weiter draußen ankernden Barke hatten den Mann im Wasser erblickt, und weil sie nicht wussten, was das alles zu bedeuten hatte, handelten sie rasch und ohne nachzudenken.
    Wir hörten, wie sie »Mann über Bord!« riefen und bereits ein Boot zu Wasser ließen. Eine Reihe von Gestalten, eine davon mit einem Bootshaken, stand bereit, in das Boot zu springen und den Flüchtigen zu »retten«. »Mr. Ross, Sir!«, rief der Sergeant der Flusspolizei, der mit uns gekommen war. »Wir haben ein Polizeiboot, das jederzeit ablegen kann! Hier entlang, Sir.«
    Wir rannten hinter ihm her und fanden uns in der Barkasse der Polizei auf sehr beengtem Raum wieder, während das kleine Fahrzeug mit Höchstgeschwindigkeit Kurs auf die fragliche Stelle nahm. Als wir näher kamen, bot sich uns ein bemerkenswerter Anblick – als hätten wir an diesem Abend nicht schon genug gesehen.
    Die Retter hatten den Mann im Wasser erreicht, doch er wollte nicht gerettet werden. Hände streckten sich ihm entgegen, ein Seil wurde geworfen, Stimmen redeten auf ihn ein: »Halt dich fest, Kollege!«
    Er ignorierte sie alle und schwamm in eine andere Richtung weiter.
    Der Sergeant der Flusspolizei hielt eine Flüstertüte an den Mund. »Halten Sie ihn fest! Halten Sie diesen Mann fest!«
    Die Seeleute hörten ihn. Der mit dem Bootshaken streckte die lange Stange aus, und das Ende verfing sich in der Kleidung des Flüchtigen. Der Schwimmer schlug um sich, versuchte sich zu befreien, ohne dabei zu ertrinken, doch er hing so fest wie ein Fisch am Haken, und bald darauf hatten wir ihn im Boot.
    »Hector Mas? Auch bekannt unter dem Namen Pierre Laurent?«, ächzte

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