Ein guter Blick fürs Böse
bekannte Adresse in Nizza geschickt, doch er kam zurück, und auch alle weiteren Versuche, mit ihm in Kontakt zu treten, schlugen fehl. Thomas’ Anwälte haben ihn im Januar des vergangenen Jahres zum letzten Mal gesehen. Er versprach, ihnen seine neue Adresse zukommen zu lassen, sobald er eine Bleibe gefunden hatte, doch das ist nie geschehen. Du überschätzt seine edlen Beweggründe. Statt ihn als gelehrten ältlichen Gentleman zu betrachten, dessen Vermieterin Mitglied der Quäkergemeinde ist, tätest du besser daran, in ihm den Mann zu sehen, der mit Damen von zweifelhafter Herkunft in Deauville Strandspaziergänge unternimmt!«
Mit diesem Volltreffer beendete er seine Ausführungen und wartete nun darauf, dass ich meine Argumente in seine Richtung feuerte.
Ich war bereit. »Er sah davon ab, Jonathan zu informieren, weil er wusste, wie dieser reagieren würde. Der erste Brief kam zurück. Jonathan schickte noch weitere Briefe, nicht wahr? An alle ihm bekannten Adressen, wo Thomas je gewohnt hatte? Kamen alle diese Briefe zurück? Wie will man ausschließen, dass Thomas nicht doch einen davon erhalten hat?«
»Weil Thomas zu dieser Zeit bereits wieder in England war«, lautete Bens prompte Antwort. »Wie wir wissen, ist er in das am anderen Ende des Landes gelegene Southampton zurückgekehrt, nachdem er seine Anwälte in Harrogate aufsuchte und mit dem leeren Versprechen abspeiste, mit Ihnen in Verbindung zu bleiben. Warum hatte er es so eilig, Harrogate zu verlassen? Befürchtete er, dem einen oder anderen alten Bekannten über den Weg zu laufen und erkannt zu werden? Von Februar bis Juli logierte er in Southampton. Hatte er vor, nach Frankreich zurückzukehren? Wenn dem so war, so verwarf er diese Idee wieder, wie es scheint, denn er reiste nach London, und das nicht mit der Absicht, seinen Cousin aufzusuchen. Von Juli bis zu seinem gewaltsamen Tod in diesem Frühjahr lebte er leise und unauffällig bei der Witwe Jameson. Thomas hielt den Kopf unten, wie man so schön sagt.
Jonathan fing im Oktober vergangenen Jahres an, den Kontinent mit Briefen zu bombardieren, kurz nach Floras neunzehntem Geburtstag, nachdem der Verehrer um ihre Hand angehalten hatte. Doch es war reine Zeit- und Papierverschwendung. Tom Tapley war bereits wieder nach Hause zurückgekehrt . Es ist nicht verwunderlich, dass keiner der Briefe ihn erreichte. Er hatte sich in Frankreich aus dem Staub gemacht und war nach England zurückgekehrt … und der Grund dafür war nicht, dass er beabsichtigte, mit seinem Cousin oder seiner Tochter in Verbindung zu treten.«
Einen Augenblick herrschte Stille zwischen uns, und Ben griff nach dem eisernen Haken und schürte das Feuer. Missmutig saß ich daneben, hatte ich doch fürs Erste klein beigeben müssen. Doch ich hatte mein Pulver noch nicht ganz verschossen. Es war an der Zeit, Ben von dem Clown zu erzählen. Ich hätte es ihm bereits in der Nacht, als Thomas Tapley starb, erzählen müssen, doch irgendwie war mir die Begebenheit entfallen, als ich bei Mrs. Jameson auf dem Sofa gesessen hatte.
»Ich glaube, es geht bei dieser Sache um mehr als lediglich die Erlaubnis zu einer Heirat«, setzte ich an. »Ich habe dir noch nichts von dem Clown erzählt.«
»Clown?« Ben stellte den Schürhaken zum Kaminbesteck zurück und setzte sich.
»Ja, dem Clown, den Bessie und ich am neuen Ufer beobachtet haben, wo er die Passanten unterhielt. Das heißt, er unterhielt sie bis zu dem Moment, als er sich an Thomas Tapleys Fersen heftete und ihn bis über die Brücke verfolgte.«
Ben stöhnte und vergrub seinen dichten Schopf schwarzer Haare in den Händen. Dann blickte er auf, und mit tonloser Stimme erwiderte er: »Dunn nennt das Ganze einen Groschenroman. Nun wirfst du einen Clown dazu und machst das alles zu einem Jahrmarkt? Was ist mit diesem Clown, Herrgott noch mal?«
Ich erzählte ihm meine Geschichte, und als ich geendet hatte, schwieg Ben minutenlang, bevor er in einer Art zu mir zu reden anfing, die ich seine »Vernunftsstimme« nenne. »Es tut mir leid, dass du und Bessie diesem Kerl am Ufer begegnet seid. Ich weiß, was du von Clowns hältst. Aber ich glaube, dass deine persönlichen Erfahrungen in diesem Fall deine Sichtweise beeinflussen. Sie verfälschen das Bild, das du von Jonathan Tapley, seiner Frau und dem Verhalten der beiden hast. Sie beeinflusst auch deine Sicht in Bezug auf Thomas’ Motive, nach England zurückzukehren. Deine von einem Zirkusbesuch herrührende kindliche Angst
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