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Ein guter Blick fürs Böse

Ein guter Blick fürs Böse

Titel: Ein guter Blick fürs Böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Granger
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vor, Superintendent Dunn zu verärgern!«, versprach ich.
    »Da du heute Abend nicht zum Essen da sein wirst«, sagte ich beim Frühstück zu Ben, »denke ich, dass ich meine Tante Parry besuchen werde. Es ist schon eine Weile her, dass ich sie gesehen habe. Sie beklagt sich ständig, ich würde sie vernachlässigen. Ich mache mich heute Nachmittag auf den Weg. Bessie wird mich begleiten und ihre früheren Freunde vom Personal besuchen.«
    Bevor Bessie ihre Stellung bei uns angetreten hatte, war sie Küchenmagd im Haushalt meiner Tante gewesen.
    »Wie willst du dorthin kommen?«, fragte er mich, während er den Kaffee hinunterstürzte und sich erhob.
    »Wir gehen zu Fuß bis zum Bahnhof und nehmen dort am Stand eine Droschke.«
    »Schön, richte deiner Tante herzliche Grüße von mir aus.« Während er sprach, mühte er sich in seinen Mantel. »Ich sehe dich heute Abend.« Er griff nach einem Stück Toast und eilte durch die Tür.
    Bessie war erfreut über die Aussicht, einen weiteren Tag außer Haus zu verbringen. Wie abgesprochen brachen wir am frühen Nachmittag auf. Auf dem Weg zum Bahnhof hielt ich nach Joey Ausschau, doch es war nichts von ihm zu sehen. Bessie hatte die ganze Straße abgeklappert, um in Erfahrung zu bringen, ob er irgendwo an den Hintertüren aufgetaucht war, doch niemand hatte ihn gesehen. Uns blieb wohl nichts anderes übrig, als zu warten, bis er von alleine wieder auftauchte, was nach Bens Meinung über kurz oder lang der Fall sein würde.
    Ich hatte ebenso gehofft, Wally Slater in der Reihe der wartenden Droschken zu entdecken, doch er war nicht da. Offensichtlich waren mehrere Züge beinahe zeitgleich eingetroffen, denn es gab lediglich eine geschlossene Kutsche, die wir dann auch nahmen. Der Kutscher war ein mürrischer Mann, an dessen Nase man seinen Hang zur Flasche erkennen konnte und dessen Pferd schlecht genährt und vernachlässigt aussah. Als wir unser Ziel erreicht hatten, sprach ich ihn darauf an (auf den Zustand seines Pferdes, heißt das). Er entgegnete, dass ich nichts von Pferden verstünde und sein Pferd bestens in Form sei. Ich bemerkte daraufhin, dass das Geschirr des Pferdes verdreckt war und schlecht saß. Er erwiderte, dass ich frei gewesen wäre, eine andere Kutsche zu nehmen, wenn mir diese hier nicht gefiel. Außerdem wäre er ein arbeitender Mann, der sich seinen Lebensunterhalt verdienen müsste, und er hätte nicht die Zeit, um sich mit reichen Frauen zu unterhalten, die ihm erzählen wollten, wie er seine Arbeit zu machen habe.
    Ich hätte entgegnen können, dass ich keineswegs vermögend war, doch in Anbetracht der Tatsache, dass er mich soeben zu einem Haus in einer teuren Wohnlage gebracht hatte und der Butler in Erwartung meiner Person bereits die Tür geöffnet hatte, hätte er mich wohl ausgelacht.
    Meine Tante Parry erschien nie vor Mittag. Sie verbrachte die Vormittage im Bett, wo sie ein leichtes Frühstück zu sich nahm und sich ihrer Korrespondenz widmete. Um ein Uhr jedoch war sie angezogen und bereit, ein üppiges Mittagessen einzunehmen. Als wir um drei Uhr ankamen, war sie im Salon und trank mit ihrer Gesellschafterin Tee.
    Ursprünglich war ich nach London gekommen, um diese Position zu bekleiden. Bei der Gelegenheit hatte ich Ben wiedergetroffen, zum ersten Mal seit unserer Kindheit, und alles hatte sich für mich zum Guten gewandt. Tante Parry hingegen war nicht glücklich über die Entwicklung gewesen. Ich hatte sie in die missliche Lage gebracht, sich um eine neue Gesellschafterin bemühen zu müssen, auch wenn es ihr nicht schwergefallen war, mich gehen zu lassen. Ich war zu geradeheraus, und mein Verhalten kam ihr absonderlich vor. Ungeachtet dessen warf sie mir immer noch vor, ich hätte sie in selbstsüchtiger Weise zurückgelassen, um zu heiraten – noch dazu einen Polizisten.
    Seitdem ich weggegangen war, hatten drei Gesellschafterinnen in schneller Folge den Hauhalt durchlaufen. Nun »versuchte« Tante Parry es mit der vierten bedauernswerten Person. Ich fand die beiden am Feuer vor, meine Tante in rotblaue Atlasseide gekleidet, die Gesellschafterin namens Laetitia Bunn hingegen in einem Kleid aus dunkelgrün glänzender Baumwolle. Beide waren recht klein und von untersetzter Gestalt, und es wirkte, als wenn eine reife Pflaume von einem kleinen runden Baum gefallen war.
    »Oh, Elizabeth, meine Liebe!«, krähte Tante Parry. »Endlich! Ich hatte bereits befürchtet, du hättest London den Rücken zugekehrt und wärst zurückgegangen

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