Ein guter Blick fürs Böse
Klient darauf?«, fragte ich. »Verärgert? Nervös? Überrascht?«
»Oh, er wurde sehr nervös. Genau wie ich, eh? Wir waren wie zwei Katzen auf heißen Steinen. Keiner von uns wollte in eine Mordsache verwickelt werden. Wir standen beide in sehr schlechtem Licht da. Mein Klient hatte Thomas Tapley nicht tot gewollt, Mrs. Ross. Mein Klient hatte ihn lebendig haben wollen. Ich wollte mir keinen Feind machen, der die Polizei auf mich hetzte, aber ich wollte auch nicht noch weiter in diese Sache hineingezogen werden. Eine ziemliche Bredouille, in der ich mich da befand. Also sagte ich zu dem Klienten, dass er mir Zeit geben sollte, damit ich mich umsehen kann, was passiert. Ich beobachtete das Haus am Bryanston Square weiter, weil es meiner Meinung nach das Zentrum von allem ist. Vergessen Sie nicht, ich habe meine Erfahrungen im Detektivgeschäft. Dann habe ich Sie wiedergesehen, und ich dachte bei mir, ha! Die Lady ist ebenfalls im Detektivgeschäft!«
»Wie dem auch sei«, sagte ich entschieden. »Sie müssen jetzt zur Polizei gehen. Wenn Sie weitermachen wie bisher und auf eigene Faust herumschnüffeln, riskieren Sie, alles nur noch schlimmer zu machen für sich. Reden Sie mit Ihrem Klienten, überzeugen Sie ihn, mit Ihnen zum Scotland Yard zu gehen. Mein Mann ist zurzeit außerhalb von London, und er kommt nicht vor morgen Abend zurück, vielleicht auch erst übermorgen. Fragen Sie nach Sergeant Morris oder auch gleich nach Superintendent Dunn.«
Jenkins schüttelte heftig den Kopf. »Nein, nein, nein, auf keinen Fall! Mein Klient will nichts davon wissen! Und wenn wir schon dabei sind, es ist kein ›Er‹, verstehen Sie? Es ist eine ›Sie‹.«
»Eine Lady?«, fragte ich überrascht.
»Ja, eine Lady, Mrs. Ross, und eine ausländische Lady obendrein. Eine französische Lady. Ich hatte erwähnt, dass ich zu Scotland Yard gehen wollte, doch die Vorstellung versetzte sie in Angst. Ich konnte herausfinden, dass Inspector Ross die Ermittlungen leitet, und sie war einverstanden, den Inspector hier in diesem Büro zu treffen. Sie spricht ein wenig Englisch, doch sie braucht wahrscheinlich Hilfe. Rein zufällig kann ich ein wenig Französisch und könnte bei einer Befragung aushelfen. Werden Sie das Ihrem Mann ausrichten?«
Mir lag auf der Zungenspitze zu erwidern, dass ich selbst sehr gut Französisch sprach und dolmetschen konnte, falls erforderlich, doch ich hielt inne. Je weniger Informationen Jenkins über mich hatte, desto besser. Er war durchaus imstande, selbst genug herauszufinden.
»Dann sollte ich wohl zum Yard gehen und berichten«, sagte ich. »Dies ist eine Mordermittlung, und sämtliche Informationen müssen sofort an die Polizei weitergeleitet werden. Ich werde alles erzählen, was Sie mir gesagt haben.«
Jenkins wurde ganz aufgeregt. »Nein, nein! Wenn Sie das tun, habe ich das ganze Büro voller Bullen! Das reinste Gift für eine private Ermittlungsagentur mit garantierter Diskretion! Ich würde nie wieder einen Auftrag von einem Klienten bekommen, wenn sich das herumspricht! Abgesehen davon, möglicherweise würde meine derzeitige Klientin Wind von der Sache bekommen und nicht mehr auftauchen. Entweder sie und Inspector Ross alleine treffen sich hier in diesem Büro oder überhaupt nicht.«
»Wie lautet der Name der Lady?«, erkundigte ich mich.
Er bedachte mich mit seinem trägen, entnervenden Grinsen. »Ich bin selbst ein halber Anwalt, Ma’am, oder ein Priester. Ich wahre die Geheimnisse meiner Klienten, es sei denn, sie gestatten mir zu reden. Es ist eine Frage des Vertrauens, wissen Sie? Klienten erzählen mir alle möglichen Dinge, weil sie denken, dass ihre Geheimnisse bei mir sicher sind.«
»Ich werde darüber nachdenken«, sagte ich und erhob mich.
»Ich hätte gerne Ihr Wort«, sagte Jenkins.
Das brachte mich in Verlegenheit. »Mein Mann kommt heute spät in der Nacht zurück oder auch nicht«, sagte ich. »Ich warte bis morgen. Wenn er dann nicht gekommen ist – wenn er noch länger wegbleiben muss –, werde ich selbst zum Yard gehen. Ich schlage vor, Sie setzen sich mit dieser Lady in Verbindung. Sie haben den ganzen restlichen Tag Zeit dafür. Überzeugen Sie sie, sich den Behörden anzuvertrauen, nach Möglichkeit noch heute. Wenn sie nichts zu verbergen hat, muss sie keine Angst haben.«
»Ich weiß nicht, ob das richtig war, was Sie ihm versprochen haben, Missus«, sagte Bessie, als wir wieder auf der Straße standen und uns auf den Heimweg machten.
»Das weiß
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