Ein guter Blick fürs Böse
örtlichen Constable, mit dir nach unten zu gehen und eine für dich zu rufen.«
»Du meinst, damit du sicher sein kannst, dass ich nach Hause fahre!«, brauste Lizzie ungehalten auf. »Keine Sorge, ich fahre nach Hause. Was wirst du mit dieser Photographie anfangen?«
»Sie ist ein Beweismittel.« Ich klang sehr dienstlich. Meine Frau bedachte mich mit einem Blick, der Bände sprach, dann wandte sie sich ab und marschierte hoch erhobenen Hauptes nach draußen.
»Sergeant!«, rief ich Morris zu. »Sie übernehmen für den Moment das Kommando hier! Ich kehre auf direktem Weg zum Yard zurück und informiere Superintendent Dunn.«
»Sehr wohl, Sir«, sagte Morris phlegmatisch. »Der Polizeiarzt wird ohnehin bald eintreffen. Auch wenn er uns wahrscheinlich nicht mehr erzählen kann, als wir ohnehin bereits wissen und mit eigenen Augen gesehen haben.«
Draußen auf der Straße blickte ich mich suchend nach Lizzie um, doch es war nirgendwo eine Spur von ihr zu sehen. Der Constable, der auf meinen Befehl hin mit ihr gegangen war, trottete auf mich zu.
»Ich habe Mrs. Ross in eine Droschke gesetzt, Sir«, berichtete er. »Es war eine anständige Kutsche, nicht so ein neumodisches Ding. Zuerst wollte ich Ihre Frau nicht einsteigen lassen, als ich den Kutscher sah. Es war ein großer alter Bursche mit einer zerschmetterten Nase. Er sah aus wie ein Jahrmarkt-Boxer. Aber er schien Mrs. Ross zu kennen und sie ihn, also dachte ich, alles ist in Ordnung. Sie wirkte ziemlich erfreut, als sie in die Kutsche stieg, Sir.«
Der alte Bursche mit der zerschmetterten Nase konnte nur Wally Slater sein, ein alter Bekannter von Lizzie. Was für ein glücklicher Zufall. Er würde dafür sorgen, dass Lizzie sicher zu Hause ankam. Falls sie ihn nicht überredete, sie woandershin zu bringen, wo sie erneut ihre neugierige Nase in fremder Leute Angelegenheiten stecken konnte.
»Danke sehr, Constable«, sagte ich zu dem Beamten. »Gut, dass Sie eine Droschke gefunden haben. Ich denke, ich kenne den Fahrer.«
Alsdann eilte ich selbst zum Scotland Yard zurück. Als ich das Gebäude betrat, erhob sich der diensthabende Sergeant am Empfang und winkte mir zu. »Mr. Dunn möchte Sie sprechen, Sir, dringend. Er hat gesagt, Sie sollen unverzüglich in sein Büro kommen, sobald Sie hier sind, Sir.«
Ging es um Lizzie? Ich stellte mich innerlich auf eine weitere Predigt ein und eilte nach oben zum Büro von Dunn. Ich klopfte an seine Tür, öffnete, um einzutreten, und blieb wie angewurzelt auf der Schwelle stehen, sehr wahrscheinlich mit offenem Mund.
Dunn war nicht allein. Eine Frau saß in einem Stuhl vor seinem Schreibtisch. Sie drehte den Kopf und sah mich an. Sie war eine gut aussehende Person, nicht mehr ganz jung vielleicht, doch ihre frühere Schönheit war noch zu erkennen. Sie war vornehm gekleidet. Ich habe, seit ich verheiratet bin, gelernt, dass Frauen von uns Männern erwarten, dass wir ihre Kleidung bis ins Detail zur Kenntnis nehmen – als hätten wir nicht schon genug Sorgen, die uns bewegen. Wie dem auch sei, ich nahm nun zur Kenntnis, dass Dunns Besucherin einen hellgrauen Rock trug, dazu eine Jacke, die für meinen Geschmack einigermaßen militärisch aussah mit der doppelten Reihe Messingknöpfe und den Brustschnüren. Sie hatte schwarzes Haar, kunstvoll hochgesteckt, und ich fragte mich, ob sie alle echt waren. Auf der schicken Hochfrisur saß, nach vorn geneigt, eine Haube …
Ach, es hatte also doch einen Sinn, die Kleidung einer Frauensperson zur Kenntnis zu nehmen, hin und wieder jedenfalls. Ich bildete mir ein, den Hut der Dame bereits zu kennen – es war keine Stunde her, dass Lizzie ihn mir beschrieben hatte, dank der Aussage von Miss Poole. Der kleine Hut war rund mit lavendelfarbenen Blüten und einer Menge zerknittertem grünen Zeug auf der Oberseite. Er wurde an Ort und Stelle gehalten von zwei Bändern, die im Nacken vermittels einer Schlaufe zusammengebunden waren.
Dunns Gesichtsausdruck war nicht zu entziffern, während er mich dabei beobachtete, wie ich seine Besucherin musterte. »Ich freue mich, dass Sie so schnell zurück sind, Ross«, sagte er nun mit einer Stimme, die genauso bar jeglichen Ausdrucks war. »Ich möchte Ihnen unbedingt diese Lady hier vorstellen und hatte sie gefragt, ob es ihr etwas ausmache, ein wenig zu warten. Darf ich bekanntmachen: Miss Thomas Tapley.«
KAPITEL VIERZEHN
Elizabeth Martin Ross
Wally Slater fuhr mich in gemächlichem Tempo quer durch London und setzte mich
Weitere Kostenlose Bücher