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Ein guter Blick fürs Böse

Ein guter Blick fürs Böse

Titel: Ein guter Blick fürs Böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Granger
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einen Unterton von professioneller Begeisterung. »Der Hut der Lady fiel mir ins Auge. Sie hatte satt kastanienrotes, kunstvoll frisiertes Haar. Darauf saß ein kleiner runder Hut mit einem Saum aus Spitze und lavendelfarbenen seidenen Rosenknospen ringsum. Die Oberseite war mit dunkelgrünen Seidenrüschen verziert. Er wurde von lavendelfarbenem Seidenband gehalten, das hinter ihren Ohren verlief und hinten im Nacken höchst kleidsam zu einer Schleife gebunden war. Ich hätte mir den Hut zu gerne von vorn angesehen, doch die Lady drehte sich nicht in meine Richtung um. Ich fand ihn sehr schick und sehr modisch, und er sah aus, als stammte er geradewegs aus einem Damenmagazin. Kein Hut für den Winter, bestimmt nicht. Der Regen hätte ihn sofort ruiniert.«
    »Seidene Rosenknospen und Rüschen? Ja, schlechtes Wetter hätte ihn ruiniert. Sie haben den Mann oder die Frau nicht reden hören?«
    Hatte Miss Poole nicht. »Ich dachte, ich könnte den Hut vielleicht kopieren, beispielsweise als Hochzeitsaccessoire, falls eine Kundin so etwas wünscht. Nicht mit lavendelfarbenen Rosen selbstverständlich, es sei denn, die Trägerin wäre in Halbtrauer. Pink vielleicht.«
    Sie verstummte, und nach der Art und Weise, wie die Lebhaftigkeit aus ihr strömte, nahm ich an, dass die Erinnerung an den Hut durch eine traurigere Erinnerung verdrängt worden war. »Sein Büro war so schrecklich unordentlich vorhin, als ich Sie und Ihren Ehemann dort vorfand. Waren Sie das?«
    »Was denn, ob wir alles durchwühlt haben? Oh nein. Das war mit ziemlicher Sicherheit der Mörder.«
    »Aber warum?« Sie richtete ihren Blick auf mich und blinzelte frische Tränen weg. »War es nicht genug, den armen Mr. Jenkins zu ermorden? Warum musste der Mörder überhaupt so eine schreckliche Tat begehen?«
    Ich wählte meine Worte mit Bedacht, auch im Hinblick auf Superintendent Dunns Warnung, ihr keine Ideen in den Kopf zu setzen. »Die beiden Begebenheiten standen möglicherweise in einem Zusammenhang.«
    »Sie meinen, er hat einen Einbrecher aufgescheucht?«
    »Keinen gewöhnlichen Einbrecher vermutlich. Eher jemanden, der nach etwas Speziellem gesucht hat, etwas, von dem er glaubte, Jenkins hätte es irgendwo versteckt.«
    »Oh …«, sagte Miss Poole nachdenklich.
    Ich würde nie irgendetwas erreichen, solange ich Dunns Instruktionen wortwörtlich befolgte. »Miss Poole …« Ich legte ihr eine Hand auf den Arm. »Hat Mr. Jenkins Sie je gebeten, irgendetwas für ihn aufzubewahren? Einen kleinen Gegenstand, den Sie für ihn verstecken sollten, hier oben in Ihrem Zimmer? Immerhin waren Sie eine Freundin.«
    Ich wusste sofort, dass ich einen Volltreffer gelandet hatte. Sie lief puterrot an. »Nun, ich … ich schätze, nun, da Mr. Jenkins tot ist, sollte ich es der Polizei übergeben.«
    »Das sollten Sie in der Tat«, pflichtete ich ihr bei. »Was auch immer es sein mag. Ich könnte Sie nach unten begleiten, und sie könnten es gleich meinem Mann übergeben.«
    »Ja, ja. Was für eine liebe Person Sie doch sind, Mrs. Ross. Ich wäre viel zu nervös, alleine nach unten und zur Polizei zu gehen. Warten Sie, ich hole es eben.«
    Sie erhob sich und ging hinter den Vorhang, der ihr Bett vom restlichen Zimmer abschirmte. Nach einem Augenblick kehrte sie mit einem Umschlag in den Händen zurück. »Das ist es. Es ist nicht viel, zugegeben. Er hat mich gebeten, es für eine Weile aufzubewahren, damit er es nicht verliert.«
    Ich hätte den Umschlag am liebsten aufgerissen, um zu sehen, was er enthielt, doch das durfte ich nicht. Stattdessen drängte ich Miss Poole die Treppe hinunter zur ersten Etage, wo sie Ben den Umschlag mit zitternden Fingern übergab.
    Ben öffnete ihn sogleich und nahm ein Stück Karton hervor. Ich sah, dass es eine Photographie war – ärgerlicherweise konnte ich nicht erkennen, was sie zeigte.
    »Ich danke Ihnen, Miss Poole«, sagte Ben zu der Hutmacherin. Er schob die Photographie zurück in den Umschlag und steckte beides ein.
    Ich hätte schreien können vor Enttäuschung. Miss Poole sah sich traurig in Jenkins’ Büro um, doch sie vermied es, zu der Stelle zu blicken, wo sein Leichnam lag, verborgen vor neugierigen Blicken durch den heruntergerissenen Samtvorhang, der zuvor die Schlafecke abgetrennt hatte.
    »Das wird mir sicher noch lange zu schaffen machen«, sagte sie. »Die Erinnerung wird mich bis in den Schlaf verfolgen. Ich … ich werde seine Freundschaft vermissen. Manchmal, wenn er nichts zu tun hatte, kam er

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