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Ein guter Jahrgang-iO

Ein guter Jahrgang-iO

Titel: Ein guter Jahrgang-iO Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mayle
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mir. Das werden Sie gewiss verstehen.«
    »Natürlich«, erwiderte Fitzgerald. »Verzeihen Sie. Und nun, sofern Sie das Gefühl haben, bereit zu sein...« Er streckte einen in makellosen Tweed gehüllten Arm in Richtung Tisch aus und neigte dabei den Kopf.
    Charlie verspürte den Anflug eines Zweifels. Falls es sich tatsächlich um einen Schurkenstreich handelte, so wurde dieser stilvoll präsentiert, und Fitzgerald - von Kopf bis Fuß Aristokrat - schien ein echtes Produkt aus Bordeaux zu sein. Sich vorzustellen, dass er ein Gauner war, fiel schwer. Doch dann dachte Charlie an seine Kollegen im Spitzensegment des Londoner Immobilienmarktes: Sie waren charmant, gebildet, gut gekleidet, mit allen Wassern gewaschen - aber wenn es galt, ein lukratives Geschäft abzuschließen, hätten sie nicht die geringsten Skrupel, die eigene Großmutter per Räumungsbefehl auf die Straße zu setzen. Ganoven, einer wie der andere. Er fühlte sich jetzt wieder sicherer in seiner Rolle, zog die Sonnenbrille mit einer schwungvollen Geste zurück und näherte sich dem Tisch, während die Fuge ihren klagenden Schlussakkord erreichte und Stille im Raum einkehrte.
    »Wenn ich einen Vorschlag machen darf«, ließ sich Fitzgerald vernehmen. »Wir könnten mit dem '99er beginnen, bevor wir zum 2000er übergehen - meinem persönlichen Favoriten, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.« Er schenkte ein und reichte Charlie eines der beiden Gläser.
    Die zahlreichen Übungsstunden - bei seinem Weinverkostungsseminar und bei der Generalprobe am gestrigen Abend vor dem Badezimmerspiegel - hatten Charlie auf das ungemein wichtige Drum und Dran dieses ungemein wichtigen Rituals vorbereitet. Er fasste das Glas am Stiel, klemmte diesen zwischen Finger und Daumen und hielt den Wein gegen den Kerzenschein, mit zusammengekniffenen Augen und einem Blick, der, wie er hoffte, Kennerschaft und Konzentration ausstrahlte.
    »Wie Sie sehen, ist die Geruchsnuance besonders fein, irgendwo zwischen...«
    Charlie hob die Hand. »Bitte, ich brauche absolute Ruhe.« Er begann, den Wein mit einer behutsam kreisenden Bewegung des Glases zu schwenken, und neigte den Kopf zur Seite. Und dann, als er das Bukett für ausreichend entfaltet erachtete, vergrub er seine Nase im Glas und wedelte mit seiner freien Hand - eine Finesse für Fortgeschrittene, die er in seinem Seminar gelernt hatte -, um die aromatisierte Luft in Richtung seiner aufgeblähten, wartenden Nasenlöcher zu dirigieren. Er atmete tief ein, blickte, als warte er auf eine göttliche Eingebung, gen Himmel, wobei er in Ermangelung desselben nur die Zimmerdecke anstarrte; er beugte den Kopf, um abermals tief einzuatmen, und stieß ein leises, anerkennendes Brummen aus. Dann hob er das Glas an die Lippen, trank einen Schluck und behielt ihn mehrere Sekunden im Mund, bevor er zu den, wie er es zu nennen pflegte, Klangeffekten überging; seine Wangen wurden eingezogen und aufgebläht wie ein Blasebalg; er kaute, spülte den Mund aus, und schließlich spuckte er. In der Stille des Raumes wirkte das Geräusch des Weines, der auf den Kupferboden des crachoir prasselte, unnatürlich, beinahe erschreckend laut.
    Fitzgerald wartete, die Augenbrauen wie zwei Fragezeichen erhoben.
    »Ausgezeichnet, ganz ausgezeichnet«, sagte Charlie. »Er erinnert mich an den Pétrus-Wein, nur gehaltvoller. Und Sie behaupten allen Ernstes, dass Sie Jahrgang 2000 bevorzugen?«
    Das angedeutete Lächeln auf Fitzgeralds Gesicht wurde breiter. »Sie schmeicheln mir. Aber beim 2000er werden Sie meiner Meinung nach überrascht sein, wenn nicht gar étonné. Sie gestatten.« Er nahm Charlies Glas und tauschte es gegen ein anderes aus, das Wein des Jahrgangs 2000 enthielt. Abermals spulte Charlie langsam und genüsslich das Degustationsritual ab, während Fitzgerald ihn wie eine Katze beobachtete, die kurz davor ist, sich die Maus zu schnappen.
    Wieder das hallende Geräusch der Flüssigkeit, die auf den Boden platschte. »Bemerkenswert«, sagte Charlie und tupfte sich die Lippen mit einer Leinenserviette ab. »Meinen Glückwunsch, Mr. Fitzgerald. Ich habe schon viele Weine verkostet, aber dieser Bordeaux ist unvergleichlich. Ein absolutes Spitzenprodukt.«
    Fitzgerald gestattete sich ein bescheidenes Schulterzucken. »Man tut, was man kann. Organische Düngemittel versteht sich, und die Trauben werden von Hand verlesen, avec tri - um den état sanitaire zu gewährleisten.«
    Was zum Teufel sollte das heißen? Charlie nickte wissend. »Gut,

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