Ein guter Mann: Roman (German Edition)
erzogen. Also: Onanie ist eine Todsünde, lautes, grelles Lachen eine Beleidigung des Herrn, das andere Geschlecht schlicht verboten, außer, man heiratet und zeugt Kinder in totaler Dunkelheit …«
»Hör mal«, unterbrach Müller, »das sind unglaubwürdige Stereotypen, wir schreiben das Jahr 2005. So etwas gibt es doch gar nicht mehr.«
»Das ist sehr, sehr falsch«, sagte Goldhändchen. »Bei Breidscheids hat es das gegeben. Und ich denke, bei Breidscheids gibt es das noch immer.«
»Woher, zum Teufel, hast du das? Im Internet wird das nicht stehen.«
»Selbstverständlich nicht. Aber ich habe mit dem Bürgermeisteramt gesprochen, da gibt es eine einfühlsame Dame, die mit ihm zusammen in der Schule war. Und fast alle Leute klatschen gern. Der Knabe Helmut besucht zuerst die Grundschule, dann das Gymnasium, er macht Abitur. Es fällt auf, dass er keine Freunde hat, von Freundinnen ganz zu schweigen. Es gibt für ihn auch keine Cliquen. Dieser Breidscheid ist ein Solist und hat jetzt überhaupt keine Anbindung mehr zu seinem Geburtsort. Wenn man fragt, was dieser Breidscheid getrieben hat, erfährt man im Grunde nichts. Es wiederholen sich die Sätze: Eines Tages war er weg. Und dann las man nur noch etwas über ihn in Zeitungen. Nun gut, ich habe also recherchiert, dass der Vater ziemlich früh starb. Da war Helmut etwa achtzehn. Der Vater starb übrigens an Lungenkrebs, hat aber nie geraucht. Die Mutter kümmerte sich um den Sohn und hatte gleichzeitig ein inniges Verhältnis zu einem Kaplan der katholischen Kirchengemeinde. Der zog nicht nur bei den Breidscheids ein, der muss auch etwas gehabt haben mit Helmuts Mutter. Das glauben die meisten Leute, mit denen ich sprechen konnte. Helmut machte eine Banklehre am Ort, lebte brav und bieder und vertrat die Meinung, er könne nur eine Frau heiraten, die noch niemals mit einem anderen ins Bett gestiegen sei …«
»Das ist verrückt«, sagte Müller aufgebracht, »woher weißt du das?«
»Von der Mitschülerin auf dem Gymnasium. Wie du siehst, habe ich mich richtig umgehört. In der Bank spezialisierte sich Helmut sehr schnell auf das Immobiliengeschäft, und in diesem Städtchen erinnert man sich noch ganz genau, dass dieser Milchbubi als absolutes Ass auf dem Immobilienmarkt in den Konferenzen mit den Mächtigen in der Region gesessen hat. Das geht so drei bis vier Jahre. Helmut dürfte etwa dreiundzwanzig Jahre alt sein, als er plötzlich verschwindet, zunächst spurlos. Dann taucht er wieder in München auf, später in Hamburg und in Genf. Und er hat jedes Mal eine eigene Immobilienfirma. Es sieht aus, als trainiere er für den großen internationalen Markt. Und tatsächlich ist es wohl auch so. Während Immobilienfirmen gegründet werden, Pleite gehen, aus dem Markt verschwinden, katastrophale Untergänge erleben, wächst und gedeiht das Geschäft von Helmut Breidscheid. Er hat, das muss man zugeben, einen genialen Riecher, das goldene Händchen eben. Und ganz langsam wird er international. Dann ist er achtundzwanzig Jahre alt, bereits mehrfacher Millionär und heiratet plötzlich. In New York. Da denkt man, er hat sich eine flotte Biene aus dem internationalen Jetset geholt, aber nichts da. Es ist eine junge Frau aus Bremen, und sie sitzt in seinem Sekretariat. Sie heißt Marion Krug und stammt, ganz wie der kleine Helmut, aus achtbaren, aber bescheidenen Verhältnissen. Sie heiraten in New York, wir sind im Jahr 1976. Die Ehe zerfällt sehr schnell. Im Jahr 1978 werden die beiden wieder geschieden. Und im gleichen Jahr, höre und staune, Genosse Müller, hebt die katholische Kirche diese Ehe auf, das heißt: Die Ehe wird annulliert. Und an diesem Punkt erwacht mein Misstrauen. Eine Ehe kann in der katholischen Kirche nur nach einem komplizierten, mindestens zweijährigen Verfahren annulliert werden. Und auch nur dann, wenn vor dieser Eheschließung irgendetwas entscheidend Störendes vorhanden war, was dem Ehepartner verschwiegen wurde. Breidscheid gab an, seine Frau habe heimlich getrunken und Drogen genommen. Und davon habe er nichts geahnt.«
Müller musste grinsen. »Heißt das, dass du in den Archiven des Vatikans herumspaziert bist?«
Goldhändchen grinste ebenfalls und erwiderte: »Das geht dich überhaupt nichts an, das willst du gar nicht wissen. Tatsache ist, dass die Ehefrau mit geradezu erschreckender Geschwindigkeit wieder aus Helmut Breidscheids Leben geschossen wurde. Und zwar zivilrechtlich wie kirchlich. Und das Letztere lässt
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