Ein guter Mann: Roman (German Edition)
an seinen Fraktionschef im Namen aller aufrechten Katholiken dieses Landes. Gleichzeitig ging das an den Kardinal.«
»Das passt«, sagte Müller leichthin. »Ich frage mich, was du machst, wenn jemand dir auf die Schliche kommt.«
»Gar nichts«, sagte Goldhändchen. »Wirklich gar nichts. Denn ihr werdet mich alle bis aufs Blut verteidigen, weil ihr ohne mich nichts als tumbe Toren wärt.«
»Furchtbare Vorstellung«, meinte Müller. »Und jetzt bewegt euch hier raus, ich muss arbeiten.«
Eine Stunde lang schrieb er auf, was er mit der Exfrau von Breidscheid besprochen hatte. Er hatte das Gefühl, das Gespräch sei Wochen her, aber es waren nur lächerliche Stunden.
Dann beschrieb er die Abenteuer mit den amerikanischen Brüdern und kam anschließend auf die Idee, sich bei Missie White zu entschuldigen. Er gab einem Blumengeschäft den Auftrag, einen bunten Strauß in das Hotel der Amerikaner zu senden. Als Text wählte er: »Tut mir nicht besonders Leid. Adalbert Meier«. Wenn er richtig lag, würden die Amerikaner stundenlang über diese Botschaft und den Namen rätseln. Sie würden Ironie und Spott zunächst nicht erkennen.
Dann wieder Breidscheid. Wie hatte er es fertig gebracht, den arabischen Sender Al-Dschasira dazu zu bringen, das getürkte Videoband zu senden? Mit Geld? Wahrscheinlich. Und warum? Wahrscheinlich um aller Welt vorzugaukeln, böse Islamisten würden sich des Abendlands bemächtigen? Mit Achmed als Mastermind.
Dann kam ihm unvermittelt der Gedanke, dass er keine Ahnung mehr hatte von dem, was in dieser Stadt zurzeit los war. Hatten die Medien schon über die zwei erschossenen Siebzehnjährigen berichtet? Wussten sie überhaupt von der Möglichkeit, dass es sich nicht um islamistische Terroristen handelte? Er holte sich im Sekretariat eine Tageszeitung, machte sich einen Kaffee, legte die Füße auf den Schreibtisch und las die Titelseite.
Von Breidscheid kein Wort, von den toten Jugendlichen kein Wort, von neuesten Fahndungsergebnissen kein Wort, das alles würde wohl morgen kommen. Auf der Seite zwei las er einen Artikel der Deutschen Presseagentur, dass der arabische Fernsehsender Al-Dschasira eine Videobotschaft des stellvertretenden Al-Kaida-Chefs Eiman al-Sawahiri veröffentlicht habe, der gesagt habe: »Unsere Botschaft ist klar. Was ihr in New York und Washington gesehen habt, was ihr jetzt im Irak und Afghanistan seht, all das ist nichts im Vergleich zu dem, was ihr als Nächstes erleben werdet. Am Ende werdet ihr aus dem Irak und aus Afghanistan abziehen, aber zuvor wird es noch hunderttausende von Toten geben.«
Kein Wort von Berlin, keine Feststellung, dass Al-Kaida nicht die geringste Rolle dabei gespielt habe.
Auf der Seite drei eine Reportage über ein junges Elternpaar, das sein einjähriges Kind im Sony-Center verloren hatte. Das Kind war durch eine herabstürzende Glasscheibe geköpft worden. Die Mutter war in die Psychiatrie eingeliefert worden. Die Zahl der Toten lag jetzt bei dreiundneunzig.
Gegen 11.50 Uhr meldete sich Sowinski und sagte knapp: »Haben Sie Zeit, können Sie in einen Einsatz?«
»Wieder eine Gruppe, wieder ein SEK?«, fragte er.
»Nein. Diesmal sechs Männer in den Osram-Höfen im obersten Stock. Im Wedding also. Sie haben die Höfe evakuieren müssen. An die sechs Figuren kommen sie nicht heran. Und die sind auch noch bis an die Zähne bewaffnet.«
»Wer macht das?«
»Das BKA.«
»Ich fahre hin«, sagte er. »Nachschauen kostet nichts.«
»Danke«, sagte Sowinski. »Und melden Sie sich.«
»Haben wir einen Vertrauensmann?«
»Ja, Oberrat Schück, Vorname Gerald. Schöne Grüße.«
»Hat Krause sich eigentlich gemeldet?«
»Nein, noch nicht. Aber etwas anderes, was Sie freuen wird. Wir haben seit dreißig Minuten positive Nachricht von Svenja aus Nordkorea. Sie ist raus und auf dem Weg hierher.«
»Endlich etwas richtig Gutes«, erwiderte Müller. Zutiefst erleichtert erinnerte er sich daran, wie Svenja einmal gesagt hatte: »Weißt du, mein Lieber, wenn wir ein normales Leben hätten, würde ich etwas mit dir anfangen.« Aber ein normales Leben war unendlich weit weg.
Müller hatte eine ungefähre Ahnung, wo im Wedding die Osramhöfe lagen. Er erinnerte sich sogar an einen Werbespruch aus Kindertagen, als es hieß: Hell wie der lichte Tag. Jetzt war die Fabrik für Glühlampen verschwunden, die großen Backsteinbauten alter Tage durch unzählige Firmensitze veredelt. Aber Einzelheiten kannte er nicht.
Er fuhr bis zu einer ersten
Weitere Kostenlose Bücher