Ein guter Mann: Roman (German Edition)
fragte Schneider zurück.
»Keine Atmung mehr«, kam eine zittrige Stimme. »Beide keine Atmung mehr.«
Im Treppenhaus unterhalb von Müller kam wüstes Getrampel. Jemand brüllte: »Platz machen, der Arzt!«
»Wo ist Pjotr?«, fragte Müller laut. »Ich muss Pjotr sehen. Sofort.«
»Komm den Flur entlang«, sagte Schneider. »Dann rechts rein. Pjotr ist hier. Die anderen: Durchsuchung. Und lasst den Arzt durch. Scheiße!«
Müller drängte sich an den Beamten vorbei und zog im Vorwärtsgehen den Helm aus. »Lasst mich mal durch«, sagte er.
Er sah durch die offenen Türen der Zimmer Matratzen auf dem Boden und darauf Männer, die erstarrt vor Schreck bewegungslos saßen.
»Das ist Pjotr«, sagte Schneider. Er wies auf einen Mann, der gekrümmt auf einem Sofa lag, das viel zu klein für ihn war.
»Das ist nicht der Pjotr, den wir suchen«, sagte Müller sehr bestimmt. »Pjotr ist zehn Jahre jünger als der hier und nicht so schlank. Und er hat kein graues Haar und keine Halbglatze. Wir haben die falsche Gruppe.«
Schneider erwiderte nichts, er seufzte nur.
Der Mann auf dem Sofa war panisch. Zwischen seinen Beinen kam mattgelbe Flüssigkeit herausgelaufen.
»Um Gottes willen«, murmelte Müller. »Steh auf und gib mir Antwort.«
Der Mann sagte zunächst nichts, sondern schloss für Sekunden vor Scham die Augen. Er sagte durch eine Reihe gelber und brüchiger Zähne: »Wir sind Rumänen.«
»Hast du andere Hosen?«, fragte Müller.
»Ja. Da in dem Rucksack.« Er sprach fließend deutsch.
Müller griff nach dem Rucksack und reichte ihn dem Mann. Dann sah er den Jungen.
»Wer ist das?«
»Mein Sohn«, antwortete der Mann auf dem Sofa. »Wir sind beide geflohen, wir wollten hier weiter leben.« Er stand auf, zog sich die Hosen aus und wischte sich mit einem Tuch die Oberschenkel ab.
»Wasser zum Waschen?«, fragte er dann verlegen.
»Später«, sagte Müller. »Sie heißen Pjotr?«
»Ja, ich heiße Peter.« Der Mann stieg in einen Trainingsanzug, auf der Brust stand Oxford forever.
»Wie stark ist diese Gruppe?«
»Siebzehn Mann.«
»Woher kannst du so gut Deutsch?«
»Ich bin Studienrat, mein Fach ist Deutsch.« Er strich sich mit beiden Händen durch die Haare.
»Was zum Teufel habt ihr hier gemacht?«
»Wir haben gewartet«, sagte Peter. »Der Mann, der uns durchgeschleust hat, wollte uns Papiere bringen. Gute Papiere, damit wir hier leben können.«
»Was habt ihr bezahlt?«
»Zweitausend Dollar für das Schleusen, zweitausend Dollar für die Papiere. Und sechshundert Dollar für die Wohnung. Jede Woche. Jeder hat seine Ersparnisse gegeben.«
»Jeder?«
Peter nickte. Es sah so aus, als wolle er zu weinen beginnen, sein ganzes Gesicht zuckte.
»Wer kassiert das Geld?«
»Der Besitzer dieses Hauses hier. Er hat gesagt, er bringt das Essen, wir dürfen uns nicht bewegen.« Dann machte er plötzlich den Eindruck, als wache er aus einem Traum auf. »Wen habt ihr erschossen? Nebenan? Habt ihr Kolja und Benedikt erschossen? Sie waren doch erst siebzehn.«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Müller gequält.
Dann überfiel ihn mit jähem Erschrecken die Erkenntnis, dass er zutiefst fremd war an diesem Ort, dass seine Teilnahme an diesem Unternehmen nicht erklärbar sein würde, dass dieses Ereignis grotesken Wirbel und Anklagen ohne Ende auslösen würde. Der Einsatz konnte nicht geheim bleiben. Die Stadt war ohnehin schon hysterisch.
Er drehte sich um und ging hinaus auf den Flur. Im Nebenzimmer beherrschte ein Arzt mit seinen Helfern die Szene. Sie hatten zwischen sich einen jungen Mann auf dem Rücken liegen, dessen Oberkörper sehr weiß schien. Sie versuchten ihn mit Schocks wieder zu beleben, jedes Mal tat es einen dumpfen Schlag, wenn sie Stromstöße in ihn hineinjagten.
»Hat keinen Zweck«, sagte der Mann, auf dessen Rücken Arzt stand.
Ein zweiter, sehr jung aussehender Mann lag dicht am Fenster auf dem Fußboden und hatte eine einzige Wunde auf der Stirn. Kopfschuss, dachte Müller.
»Wo ist Jürgen?«, fragte er.
»In der Küche«, antwortete jemand. »Geradeaus über den Flur.«
In der Küche saß Jürgen Schneider auf einem Stuhl und sprach ganz leise mit einem leichenblassen jungen Mann. »Dieter«, sagte er, »mach dich nicht verrückt. Du hast das als Waffe gesehen, du musstest reagieren.«
»Hör zu«, unterbrach Müller. »Ich muss sehen, dass ich wegkomme von hier. Ihr seid ein Einsatzkommando, ich bin Solist. Ich muss mich nach Hause fahren lassen.«
»Nimm einen
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