Ein guter Mann: Roman (German Edition)
Touren zu verzichten. Denn Astrid oder Eva können die Kleine immer für zwei, drei Stunden nehmen. Und dann bin ich auch der Meinung, dass Anna-Maria alt genug ist, den todkranken Opa zu besuchen, und …«
»Auf keinen Fall!«, rief Melanie hoch und schrill.
»Du kannst sie nicht vom Leben fern halten«, wandte er ruhig ein. »Das eigentliche Problem dabei bist du. Du willst meinen Vater nicht sehen.«
»Nicht so, wie er da liegt.«
»Wie liegt er denn da?«
»Na ja, irgendwie halb tot, oder? Mit Schläuchen und so, oder? Mit all diesen tickenden Uhren und den furchtbaren Geräuschen, das kennt man doch aus dem Fernsehen. Und dieses Gurgeln. Das kann ich nicht ertragen. Ich will ihn lebend in Erinnerung behalten.«
»Er stirbt aber vielleicht.«
»Das kann ich nicht.«
Er nickte.
Es hatte nicht den geringsten Sinn, weiterzusprechen. Was immer er sagte, sie würde es abblocken.
»Ich bin todmüde«, murmelte er. »Ich möchte schlafen.«
DRITTER TAG
Müller schrieb ein PS zu seinem Treffbericht Damaskus. Er führte aus: »Ich will noch einmal zurückkommen auf die Unwägbarkeiten bei der Einschätzung Achmeds. Er zählte, wie bereits erwähnt, die ihm übergebenen fünftausend US-Dollar nicht, was noch niemals vorgekommen ist. Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass ich störe. Er machte während unseres Gesprächs immer wieder einen unkonzentrierten Eindruck, seine Gedanken glitten ab. Einmal erwähnte er sogar hastig, er habe vergessen, mir mitzuteilen, dass bereits drei Gruppen der US-Amerikaner in den Nordiran eingesickert seien. Auch so etwas ist noch nie passiert. Was mir jedoch besonders auffiel, war, dass er kein einziges Mal seinen Laptop erwähnte, kein neues Programm haben wollte, nicht von seinen neuesten Entdeckungen berichtete, die er im Internet gemacht hat. Das ist noch nie vorgekommen, seit dieses Amt ihm den Laptop übergab. Meiner Einschätzung nach war er hellwach, aber dauernd abgelenkt durch irgendetwas, an dem ich nicht teilhaben sollte oder teilhaben durfte. Es spielte sich in seinem Kopf ab. Gez. Müller.«
Es war 8.16 Uhr, Müller hatte schlecht geschlafen und saß seit sieben Uhr hinter seinem Schreibtisch. Er hatte die Hamburger Leitung überprüft, ob sich Achmed möglicherweise gemeldet hatte. Aber da war nichts.
Er rief die Intensivstation an und bat, seine Mutter an den Apparat zu holen.
Er sagte: »Ich war gestern Abend noch bei ihm, aber er war nicht ansprechbar. Wie geht es ihm jetzt?«
»Sie sagen, er hatte eine gute Nacht. Sonst ist alles unverändert. Wo bist du denn jetzt?« Ihre Stimme klang erstaunlich sachlich.
»Ich bin hier im Amt, ich sitze am Schreibtisch. Gehen wir heute zusammen zur Bank, dass du an das Geld kommst?«
»Ja, das wäre gut.«
»Dann bin ich gegen elf Uhr bei dir.«
Er stand auf und ging hinüber zu Krause, aber der hatte offensichtlich eine Konferenz oder wichtige Telefonate. An der Türklinke hing der rote Punkt. Müller erinnerte sich, dass er dieses Warnzeichen einmal übersehen hatte und trotzdem hineingestürmt war. Krause in wütendem Zustand zu erleben, war etwas, auf das er seither gut verzichten konnte.
Er nahm seine zweite Tagesaufgabe in Angriff. Er hatte zu jedem einzelnen Punkt, über den ihm Achmed berichtet hatte, eine eigene Meldung zu machen. Diese Meldungen liefen in dem Fall über Krauses Tisch und von dort zur AuMe, zur Auftragssteuerung und Meldungsbearbeitung, die dafür zu sorgen hatte, dass in den Texten mögliche operative Details nicht erkennbar waren. Gleichzeitig gingen die Meldungen an die Auswertung III. Die Auswertung wiederum erarbeitete aus diesen Meldungen und allen parallel gewonnenen Erkenntnissen zur gleichen Sache die Berichte, die an das Kanzleramt und an das jeweils betroffene Ressort gingen. Und Krause schließlich würde als Führungsstelle irgendwann die Echos dieser Berichte erleben. Es würde nicht erkennbar sein, wer die Meldung geschrieben hatte und aus welcher Quelle sie kam.
Vornehmlich den jungen Mitarbeitern erschien dieses sich selbst am Leben erhaltende System ein Unikum zu sein, auch etwas, das enorm störte. Aber einen besseren Vorschlag schien niemand zu haben. Müller nannte es für sich das Seufzer-System. Müller schrieb die Meldungen konzentriert und schnell und versuchte dann herauszufinden, inwieweit Achmeds Mitteilungen andere Quellen in Nahost betreffen könnten. Er fand fünf Fragen und entwickelte Vorschläge für Krause, der dann die Verbindung zu
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