Ein gutes Omen
Süßstoffe schmeckten süß –
aber damit hatte es sich auch schon. Hinzu kamen fibröse Materialen, Pigmente
und geschmacksintensive Konservierungsmittel. Das Ergebnis waren Lebensmittel,
die sich kaum von anderen unterscheiden. Es gab nur zwei wichtige Unterschiede.
Erstens: Der Preis war ein wenig höher. Zweitens: Der Nährwert entsprach dem
eines Sony Walkman. Es spielte keine Rolle, wieviel man davon aß – man verlor
Gewicht.* [* Und Haare. Und
gesunde Hautfarbe. Wenn man genug davon aß, verlorman auch das Leben.]
Dicke Menschen
kauften die neue Spezialität. Dünne Menschen, die nicht dick werden wollten,
kauften sie ebenfalls. FUTTER ™ war die ultimate Diätnahrung. Das Produkt kam in verschiedenen
Sorten auf den Markt, und die Gestaltungspalette reichte von Kartoffeln bis
Rehfleisch-Filets. Hähnchen verkauften sich am besten.
Sable lehnte
sich zurück und hörte die Kasse klingeln. Es dauerte nicht lange, bis FUTTER ™
eine ökologische Nische füllte, die bisher
von modern-klassischen, ohne das hochgestellte ™ ausgestatteten Speisen
beansprucht worden war.
FUTTER ™ bildete den Anfang. Es folgte SNACKS ™ – Junk Food aus echtem organischen Müll.
MAHLZEITEN ™ stellten Sables neueste Meisterleistung dar.
MAHLZEITEN ™ war FUTTER ™ mit Zucker und Fett. Rein theoretisch sollte folgendes geschehen:
Wer genug MAHLZEITEN ™ aß, wurde a) sehr dick und starb b) an Unterernährung.
Dieses
Paradoxon gefiel Sable.
Derzeit wurden
die MAHLZEITEN ™
überall in Amerika getestet: Pizza- MAHLZEITEN , Fisch- MAHLZEITEN , chinesische MAHLZEITEN , makrobiotische Reis- MAHLZEITEN , sogar Hamburger- MAHLZEITEN .
Sables
Limousine stand auf dem Parkplatz des Burger Lord in Des Moines, Iowa. Das Fast
Food-Restaurant gehörte der Organisation, und schon seit sechs Monaten
servierte man dort Hamburger- MAHLZEITEN . Sable wollte feststellen, welche Ergebnisse man inzwischen erzielt
hatte.
Er beugte sich
vor und klopfte ans Glas, das ihn vom Chauffeur trennte. Der Mann am Steuer
betätigte eine Taste, und daraufhin surrte die Scheibe herab.
»Sir?«
»Ich möchte mir
einen direkten Eindruck verschaffen, Marlon. Zehn Minuten. Anschließend kehren
wir nach Los Angeles zurück.«
»Sir.«
Sable betrat
den Burger Lord. Er unterschied sich nicht von den übrigen Burger Lords in
Amerika.* [* Wohl aber von
den anderen Burger Lords im Rest der Welt. Um ein Beispiel zu nennen: In
deutschen Burger Lords verkaufte man kein Malabier, sondern richtiges Bier.
Englischen Burger Lords gelang es, alle amerikanischen Fast Food-Tugenden
ausfindig zu machen (man denke in diesem Zusammenhang nur daran, wie schnell
man das Essen bekommt) und sich anschließend von ihnen zu trennen. Die Mahlzeit
wurde eine halbe Stunde nach der
Bestellung serviert (sie hatte also Zeit genug, sich auf Zimmertemperatur
abzukühlen), und man konnte das Brötchen nur deshalb vom Hamburger
unterscheiden, weil ein Salatblatt dazwischen steckte. Ein vom Burger Lord-Zentralunternehmen nach
Frankreich entsandter Geschäftsagent wurde zwanzig Minuten nach der Landung
seines Flugzeugs erschossen.] In der Kinderecke tanzte McLordy der Clown. Das Personal zeichnete
sich durch jene Art von strahlendem Lächeln aus, das nie die Augen erreicht.
Hinter dem Tresen stand ein dicklicher, gut vierzig Jahre alter Mann in
Burger-Uniform, schaufelte Frikadellen auf die Bratbleche und summte fröhlich
vor sich hin.
Sable trat
näher.
»Hallo-ich-heiße-Marie«,
sagte die junge Frau an der Kasse. »Was-darfs-sein?«
»Einen
Super-hyper-Bi-Burger mit extra Pommes und ohne Senf«, erwiderte Sable.
»Was-zu-trinken?«
»Einen großen
Schoko-Banane-Shake mit Sahne obendrauf.«
Die junge Frau
betätigte einige Piktogramm-Tasten. (Man brauchte nicht unbedingt Schreiben und
Lesen zu beherrschen, um in einem solchen Restaurant zu arbeiten. Es genügte
völlig, lächeln zu können.) Dann drehte sie sich zu dem dicklichen Mann um.
»SHBB, EP, ohne
Senf«, sagte sie. »Schoko-Banane.«
»Mhm-mhmm«,
bestätigte der Koch. Er füllte die Speisen in Papiertüten und strich sich eine
grau werdende Tolle aus der Stirn.
»Und schon
fertig«, verkündete er.
Hallo-ich-heiße-Marie
nahm die Tüten entgegen, ohne den Mann anzusehen, der sich daraufhin wieder dem
Bratblech zuwandte und leise sang: »Loooove me tender, looooove me true,
neeever let me go …«
Die Melodie, so
stellte Sable fest, stand im krassen Gegensatz zu den gesungenen Burger
Lord-Werbesprüchen,
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