Ein gutes Omen
Schmetterling aus dem
Kokon der Phantasie.
Wenn sie gewußt
hätte, was sie daran hinderte, Adams Aura zu sehen, wäre Anathema vielleicht zu
einigen wichtigen Schlußfolgerungen gelangt.
Es erging ihr
wie jemandem, der vor lauter Wald die Bäume nicht sieht.
Die automatischen
Kontrollsysteme gaben ziemlich lautstark Alarm.
Natürlich geschieht
es alles andere als selten, daß im Kontrollraum eines Atomkraftwerks Alarm
gegeben wird. Es gehört zur allgemeinen Routine. Angesichts der vielen
Bildschirme, Indikatoren und anderen Anzeigen könnte man etwas Wichtiges
übersehen, wenn nicht zumindest ein beharrliches Piepen ertönt.
Die
verantwortungsvollen Aufgaben des aufsichtführenden Ingenieurs verlangen einen
fähigen, ruhigen und unerschütterlichen Mann, der nicht sofort zum Parkplatz
läuft, wenn es zu einem Notfall kommt. Solche Männer erwecken selbst dann den
Eindruck, Pfeife zu rauchen, wenn sie überhaupt keine Pfeife in der Hand
halten.
Es war drei Uhr
morgens im Kontrollraum des Atomkraftwerks ›Wendepunkt‹, normalerweise eine
hübsche ruhige Zeit, da nichts zu tun war, außer die Berichte und Listen
auszuschreiben und dem fernen Summen der Turbinen zu lauschen.
Bis jetzt.
Horace Gander
sah die aufblinkenden roten Warnlichter. Er sah auf einige Anzeigen. Er sah in
die Gesichter seiner Kollegen. Dann hob er den Kopf und blickte auf das große
Zifferblatt an der gegenüberliegenden Wand. Vierhundertzwanzig einigermaßen
zuverlässige und relativ billige Megawatt verließen das Kraftwerk. Wenn man den
übrigen Anzeigen vertrauen konnte, wurden sie überhaupt nicht produziert. Der
Ingenieur verzichtete auf Bemerkungen wie ›Das ist merkwürdig‹. Er hätte nicht
einmal dann ›Das ist merkwürdig‹ gesagt, wenn mehrere geigespielende Schafe an
ihm vorbeigeradelt wären. Das war keine Bemerkung, die ein Ingenieur machte.
Er sagte
schlicht und einfach: »Alf, du solltest besser den Direktor verständigen.«
Drei
anstrengende Stunden verstrichen. Dutzende von Telefongesprächen fanden statt,
und die Telefax-Leitungen liefen schon nach wenigen Minuten heiß.
Siebenundzwanzig Personen wurden rasch hintereinander aus dem Bett geholt, und
sie beendeten den Schlummer von dreiundfünfzig weiteren – wenn jemand nachts um
vier von einer panikerfüllten Stimme geweckt wird, möchte er eben nicht allein
sein. Außerdem mußte man viele Genehmigungen einholen, um den Reaktorkern zu
öffnen.
Sie bekamen
sie, öffneten den Reaktor und warfen einen Blick hinein.
Horace Gander
meinte: »Bestimmt gibt es eine vernünftige Erklärung dafür. Fünfhundert Tonnen
Uran können nicht einfach so davonspaziert sein.«
Der
Geigerzähler in seiner Hand hätte eigentlich wie ein Maschinengewehr
losknattern sollen. Statt dessen gab er nur dann und wann ein zögerndes,
halbherziges Klick von
sich.
An der Stelle
des Reaktorkerns befand sich nur gähnende Leere. Man hätte prima eine Partie
Squash darin spielen können.
Mitten auf dem
hellen kahlen Boden lag ein Zitronenbonbon.
Außerhalb der
Kammer röhrten die Turbinen.
Und hundert
Meilen entfernt drehte sich der schlafende Adam Young auf die andere Seite.
Raven Sable – schlank,
bärtig und ganz in Schwarz gekleidet – saß im Fond einer schwarzen Limousine,
hob einen schmalen schwarzen Telefonhörer und sprach mit der kalifornischen
Filiale seines Unternehmens.
»Wie läuft’s?«
fragte er.
»Bestens,
Chef«, antwortete der Marketing-Leiter. »Morgen frühstücke ich mit den
Einkäufern aller wichtigen Supermarkt-Ketten. Kein Problem. Im nächsten Monat
stehen unsere MAHLZEITEN ™ überall in den Regalen.«
»Gute Arbeit,
Nick.«
»Kein Problem.
Kein Problem. Wir kommen deshalb so gut zurecht, weil Sie hinter uns stehen.
Sie haben genau die richtigen Ideen, um den Markt umzukrempeln. Wir führen nur
Ihre Anweisungen aus. Sie stimulieren unsere Kreativität.«
»Danke«, sagte
Sable und unterbrach die Verbindung.
Auf die MAHLZEITEN ™ war er besonders stolz.
Vor elf Jahren
hatte das Unternehmen ›Schpaise‹ ganz klein begonnen. Einige wenige
Lebensmittelchemiker, Dutzende von Marketing- und Public Relations-Experten und
ein gutes Firmenzeichen.
Zwei Jahre der
Investitionen und Forschungen führten zum ersten Schpaise-Produkt: FUTTER ™. FUTTER ™ bestand aus speziell bearbeiteten, speziell strukturierten und
speziell entkalorisierten Protein-Molekülen, die selbst von den hartnäckigsten
Enzymen des Verdauungstrakts ignoriert wurden. Die
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