Ein gutes Omen
Schicksal
sein«, fügte er hoffnungsvoll hinzu.
Anathema schüttelte
den Kopf. »Nein«, widersprach sie. »Das bezweifle ich.«
»Wie dem auch
sei: Die Hexensucherei ist nicht mehr so, wie sie einmal war. Selbst Shadwell
beschränkt sich nur darauf, die Mülltonnen verdächtiger Weibsbilder
umzustoßen.«
Anathema nickte
langsam. »Unter uns gesagt: Agnes war ein etwas schwieriger Mensch. Sie hatte
nicht das rechte Maß.«
Newt deutete
auf den Zettel.
»Was hat das
alles damit zu tun?« erkundigte er sich.
»Sie hat es
geschrieben. Das Original, meine ich. Eintrag Nummer 3819 der Freundlichen und
Zutreffenden Prophezeiungen von Agnes Spinner, veröffentlicht im Jahre 1655.«
Erneut starrte
Newton auf die Weissagung. Sein Mund öffnete und schloß sich mehrmals.
» Sie
hat von meinem Unfall gewußt?«
Ja. Nein. Wahrscheinlich nicht. Ist schwer zu sagen. Nun, Agnes war
die schlechteste Prophetin aller Zeiten. Weil sie immer recht hatte. Deshalb
verkaufte sich das Buch nicht.«
Die meisten übernatürlichen
Fähigkeiten gehen auf das Fehlen eines zeitlichen Fixpunkts zurück, und das
Bewußtsein Agnes Spinners trieb so weit auf dem Strom der Zeit umher, daß sie
selbst nach den Maßstäben des ländlichen Lancashire im siebzehnten Jahrhundert
als verrückt galt. Was um so erstaunlicher ist, weil übergeschnappte Propheten
damals Hochkonjunktur hatten.
Trotzdem hörte
man ihr gern zu, wie jedermann gern bestätigte.
Wenn sie ihre
Patienten behandelte, benutzte sie häufig geheimnisvollen Schimmel. Sie wies
daraufhin, wie wichtig es sei, sich die Hände zu waschen – um sich von kleinen
Tierchen zu befreien, die Krankheiten verursachten. Was vielen Leuten seltsam
erschien: Schließlich war allgemein bekannt, daß man gesundheitsgefährdende
Dämonen nur mit ordentlichem Gestank vertreiben konnte. Außerdem riet Agnes
dazu, regelmäßig in einem langsamen Trott zu laufen, als ein Mittel, um länger
zu leben, was sie extrem verdächtig werden ließ und die Hexensucher zum
erstenmal auf sie aufmerksam machte. Außerdem wies Agnes darauf hin, wie
wichtig es sei, die Nahrung mit Ballaststoffen anzureichern. Doch damit war sie
eindeutig ihrer Zeit voraus, denn die Leute hatten größere Probleme, überhaupt
etwas zu essen zu haben.
Und sie
weigerte sich, Warzen zu heilen.
»Es isset alles
nur in deiner Vorstellung«, sagte sie bei solchen Gelegenheiten. »Vergiß es,
und dann wirst du bald gesundig.«
Ganz
offensichtlich konnte Agnes Spinner die Zukunft sehen, aber sie beobachtete die
Ereignisse der nächsten Jahrhunderte wie durch einen individuellen Filter, und
deshalb konnten andere Menschen mit ihren Auskünften nur wenig anfangen.
»Wie meinen Sie das?«
fragte Newt.
»Eigentlich
kann man Agnes’ Prophezeiungen nur verstehen, wenn sie sich erfüllt haben«,
sagte Anathema. »Um ein Beispiel zu nennen: Für das Jahr 1972 schrieb sie
›Kaufet keine Betamacks‹.«
»Soll das
heißen, sie hat die Erfindung des Videorecorders vorausgesagt? «
Nein«, widersprach Anathema, »sie empfing nur ein kleines
Informationsfragment aus der Zukunft. Genau darin besteht das Problem. Meistens
sind die Hinweise so vage und indirekt, daß ihre Bedeutung erst durch die
betreffenden Ereignisse klar wird. Darüber hinaus konnte Agnes kaum zwischen
wichtigen und unwichtigen Dingen unterscheiden. In gewisser Weise prophezeite
sie aufs Geratewohl. Für den 22. November 1963 weissagte sie, in Kings Lynn
stürze ein Haus ein.«
»Ach?« Newt
zwinkerte verwirrt.
»Präsident
Kennedy wurde ermordet«, sagte Anathema. »Aber Dallas existierte damals noch
nicht. Und Kings Lynn war recht wichtig.«
»Oh.«
»Agnes lieferte
besonders gute und genaue Prophezeiungen, wenn es um ihre Nachkommen ging.«
»Oh?«
»Und sie
gewöhnte sich einfach nicht an den Verbrennungsmotor. Moderne Automobile waren
für sie schlicht und einfach Karren oder Kutschen. Selbst meine Mutter glaubte,
Nummer 3819 beziehe sich auf die Droschke des japanischen Kaisers. Wissen Sie,
es genügt eben nicht, die Zukunft zu sehen. Man muß sie auch verstehen. Agnes beobachtete die zukünftigen Geschehnisse wie durch einen langen
Tunnel, und für ihre Weissagungen wählte sie jene Dinge aus, die ihr einigermaßen
vertraut erschienen.
Manchmal klopft
einem dabei das Glück auf die Schulter«, fuhr Anathema fort. »Mein Urgroßvater
analysierte einige Prophezeiungen, stellte neue Querverbindungen her und erfuhr
so rechtzeitig vom Börsenkrach im Jahre 1929. Was
Weitere Kostenlose Bücher