Ein gutes Omen
Erinnern Sie sich an den Unfall?«
Newt wagte es
erneut, die Augen zu öffnen.
»Ja«, sagte er.
»Ist mit dem Wagen alles in Ordnung?«
»Ich glaube
schon. Irgendwo plärrte es dauernd: ›Sie sind nicht angeschnallt. Denken Sie an
den Sichelheitsgult.‹«
»Na bitte«,
wandte sich Newt an ein unsichtbares Publikum. »Damals baute man noch
anständige Autos. Plastik bekommt eben keine Beulen.«
»Es splittert
höchstens.«
Newt sah
Anathema an und blinzelte.
»Ich habe das
Steuer herumgerissen, um dem Tibetaner auf der Straße auszuweichen«, sagte er.
»Glaube ich wenigstens. Wahrscheinlich bin ich ausgerastet.«
Die Gestalt
trat näher. Sie hatte dunkles Haar, rote Lippen, grüne Augen und war ohne
Zweifel weiblich. Newt versuchte, sie nicht anzustarren.
»Selbst wenn
Sie den Verstand verloren haben …«, antwortete Anathema. »Wahrscheinlich
wird es niemandem auffallen.« Sie lächelte. »Wissen Sie, daß ich jetzt zum
erstenmal Gelegenheit bekomme, einen Hexensucher kennenzulernen?«
»Äh …«,
begann Newt. Die junge Frau hob seine Brieftasche.
»Ich mußte den Inhalt überprüfen«, sagte sie. »Um zu
erfahren, wer Sie sind.«
Newt fühlte
sich von extremer Verlegenheit heimgesucht, was recht häufig geschah. Shadwell
hatte ihm einen offiziellen Hexensucher-Ausweis gegeben; unter anderem forderte
er alle Pfarreidiener, königlichen Beamten, Bischöfe und Büttel auf, dem
Hexensucher freies Geleit zu gewähren und ihm so viel Brennholz zu geben, wie
er wünschte. Es war ein außerordentlich eindrucksvolles Meisterwerk der
Kalligraphie und bestimmt sehr alt. Newt erinnerte sich erst jetzt wieder
daran.
»Es ist nur ein
Hobby«, entgegnete er zerknirscht. »Im Hauptberuf bin ich …« Sollte er
hier und jetzt und einer solchen Frau sagen, daß er als Lohnbuchhalter
arbeitete? Nein, unmöglich. »… bin ich Computer-Techniker«, log er. Newton wollte ein
Computer-Techniker sein, tief in seinem Herzen. Nur das Gehirn hinderte ihn
daran, sich diesen Wunsch zu erfüllen. »Entschuldigen Sie, aber ich weiß leider
nicht, wer Sie …«
»Anathema
Apparat«, stellte sich Anathema vor. »Ich beschäftige mich mit Okkultismus,
aber auch das ist nur ein Steckenpferd. Eigentlich bin ich Hexe. Nun, Sie sind
eine halbe Stunde zu spät dran«, fügte sie hinzu und reichte Newt einen Zettel.
»Lesen Sie das. Dadurch sparen wir viel Zeit.«
Trotz seiner
Kindheitserfahrungen hatte sich Newt einen kleinen Homecomputer gekauft. Er
hatte sogar schon mehrere besessen. Man konnte sofort feststellen, welche
Computer ihm gehörten. Es waren elektronische Gegenstücke des Wasabi. Anders
ausgedrückt: Es handelte sich um Rechner, deren Preis man um fünfzig Prozent
reduzierte, sobald einer davon auf Newtons Schreibtisch stand. Oder sie wurden
in einer teuren Werbekampagne als moderne technische Wunderwerke gepriesen –
und fielen fünf Monate später der Vergessenheit anheim. Oder sie funktionierten
nur in einem besonders kalten Kühlschrank. Wenn Newt sein Interesse einmal rein
zufällig auf ein wirklich gutes und leistungsfähiges Gerät richtete, so bekam
er mit ziemlicher Sicherheit ein Exemplar, dessen Betriebssystem diverse Fehler
aufwies und zu wiederholten Programmabstürzen führte. Aber er gab nicht auf. Er glaubte.
Auch Adam hatte einen kleinen Computer, und er benutzte ihn
hauptsächlich für Videospiele. Aber nie sehr lange. Ganz gleich, welches Spiel er
in den Speicher lud und startete: Er brauchte es nur einige Minuten lang zu
beobachten, um alle High Score-Rekorde zu brechen.
Als die anderen
Sie seine sonderbaren Fähigkeiten bestaunten, hob Adam nur die Schultern und
meinte, es sei doch ganz einfach. »Man braucht nur zu lernen, worauf es bei
einem Spiel ankommt«, sagte er. »Der Rest ist kinderleicht.«
Unbehagen regte sich in
Newton, als er sah, daß Zeitungsstapel einen großen Teil des Platzes im
Wohnzimmer beanspruchten. Hunderte von Ausschnitten hingen an den Wänden, und
viele von ihnen waren mit rotem Filzstift markiert. Es machte ihn ziemlich
zufrieden, daß er einige wiedererkannte, die er auch für Shadwell
ausgeschnitten hatte.
Anathema besaß
nur sehr wenige Möbel. Sie hatte nur eine große Uhr mitgebracht, ein Erbstück
der Familie, wie sie meinte. Es war keine echte Standuhr, aber sie verfügte
über ein frei schwingendes langes Pendel, unter dem E. A. Poe mit Freuden
jemanden festgebunden hätte.
Newts Blick
klebte immer wieder daran fest.
»Einer meiner
Vorfahren hat sie
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