Ein Hauch von Kirschblüten
sah dem Farbenspiel des Sonnenaufgangs zu. Sein Herz raste
und ihm war schlecht. Was hatte er für wirre Gedanken? Er sprach hier von Jan,
nicht von seinem verhassten ...
Er sank auf die Knie, tauchte die
Hände in den Schnee und vergrub das Gesicht in der eisigen Kälte. Das Brennen
auf der Haut betäubte die Gedanken. Er wollte weinen, schreien, sich übergeben,
irgendetwas, um diesen Schmerz endlich loszuwerden. Er fühlte sich so einsam,
wie schon lange nicht mehr. Die schwarze Leere breitete sich aus, umhüllte sein
Herz, drückte es mit eisigen Fingern zusammen, dass er kaum mehr Luft bekam.
Noch einmal tauchte er die Hände in den Schnee, vergrub das Gesicht darin. Das
Stechen auf der Haut war besser, als nichts zu fühlen.
Etwas berührte ihn an der
Schulter. Er schrak zusammen. Es war nicht Bellas Schnauze, die ihn anstupste,
sondern eine Hand – Katjas Hand.
Tom war nicht in der Lage zu
reagieren. Er sah sie an, wahrscheinlich mit Entsetzen im Blick oder
Traurigkeit oder irgendetwas anderem. Er fühlte Scham, dass sie ihn so sah, so
schwach, so gebrochen.
Einen Augenblick später spürte er
ihre Arme um sich. Er erstarrte. Warum tat sie das?
Sie sagte kein Wort, hielt ihn
fest.
Wie lange sie so in der Kälte
hockten – Tom wusste es nicht. Er spürte die Wärme, die ihre Umarmung in sein
Herz sandte.
„Wir haben uns gestritten“,
brachte er stockend hervor. Ob sie ihm glaubte, dass er nur deshalb am Boden
zerstört war?
„Warum?“
„Das ist eine lange Geschichte.“
„Ich habe Zeit.“
Tom erhob sich. Katjas Fürsorge
war ihm unangenehm und die Kälte des verschneiden Bodens kroch ihm in die
Glieder.
„Du bist Jans Freundin. Es wäre
unfair, dir die Ohren vollzuheulen.“
„Ich kenne Jan und seine Launen.
Außerdem hatte ich gehofft, auch dir eine Freundin sein zu können.“
Tom sah über die Düne und suchte nach
Bella. Das musste er erstmal verdauen. So viele Menschen waren plötzlich in
sein Leben getreten, denen er vertrauen konnte, und es auch wollte. Wirkliche
Freunde waren ein Luxus, den er trotz des ganzen Geldes nie gehabt hatte, denn
die konnte man nicht kaufen. Sie begegneten einem oder, wie in seinem Fall,
eben nicht.
„Was machst du eigentlich um
diese Uhrzeit hier draußen?“
„Ich war mit Jonathan am Strand,
dem Labrador meiner Eltern.“
Toms Blick folgte Katjas ausgestrecktem
Finger, und jetzt entdeckte er auch Bella. Die beiden Hunde tobten im Schnee,
ganz in der Nähe, wo Steffen gestern die Eisschollen fotografiert hatte.
„Was hältst du von einem heißen
Kaffee?“
„Ne Menge!“
Katja pfiff durch die Finger und
beide Hunde kamen angerannt.
„Meine Eltern sind schon im
Restaurant und Sören schläft noch. Du kannst mir also in Ruhe die lange
Geschichte erzählen.“
Tom wusste nicht, warum, doch er
sprach über alle Probleme, die Jan und er hatten, über seine Ängste, Jan nicht
zu genügen, aber auch über die Furcht, sich selbst zu verlieren. Als er fertig
war, hatten sie eine Kanne Kaffee und vier Nutellabrötchen verdrückt.
Katja schwieg eine Weile und
legte dann ihre Hand auf seine.
„Hat dir Jan je von Florian
erzählt?“
„Nein! Wer ist das?“
„Sein Exfreund. Eigentlich steht
es mir nicht zu, dir das zu erzählen, aber ich denke, dass Jan gar nicht
bewusst ist, was er tut. Florian war extrem ... wie soll ich es sagen –
alltagsdominant. Er stellte die Regeln auf – Jan lebte danach. Im Frühjahr hat
Florian die Beziehung von heute auf morgen beendet, einfach so, an dem Tag, an
dem Jan seinen Abschluss machte. Auch das nahm er hin, ohne zu kämpfen. Versteh
mich nicht falsch, ich war froh darüber. Ich mochte Florian nicht. Aber Jans jetziges
Verhalten sagt mir, dass sein Unterbewusstsein Angst vor einer erneuten
Abhängigkeit hat. Jedes Mal, sobald er sich fremdbestimmt fühlt, ist
unterschwellig diese Panik in ihm und er rastet aus. Ich kenne Jan seit über
zwanzig Jahren und habe ihn noch nie laut oder aufbrausend erlebt.“
„Hast du eine Ahnung!“
„Eure Liebe ist etwas ganz
Besonderes. Dementsprechend groß ist auch die Angst, sie zu verlieren. Er würde
nicht kämpfen, wärst du ihm nicht so unglaublich wichtig.“
„Bist du Psychologin?“
„Nein! Du weißt, dass ich
Heilpraktikerin bin. Und das bedeutet, dass ich Beschwerden nie ohne das Leiden
der Seele betrachte. Alles, was uns ausmacht, kommt aus dem Herzen.“
Tom versteifte sich, als Katja
ihre Hand auf seine Brust legte. „Hier ist das Zentrum für
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