Ein Hauch von Schnee und Asche
Blätter bewegt.
Er sah noch einmal hin; er konnte nicht anders. Sie beugte sich über das Wasser und studierte ihr Gesicht. Das Haar hing ihr nass und verschlungen über den Rücken, und sie strich es mit einer Handfläche zurück und hielt es zur Seite, während sie leidenschaftslos und konzentriert ihre entstellten Gesichtszüge betrachtete.
Sie drückte hier und dort sanft mit dem Finger zu, öffnete und schloss den Mund, während ihre Fingerspitzen den Konturen ihres Gesichtes folgten. Auf der Suche nach losen Zähnen und Knochenbrüchen, so vermutete er. Sie schloss die Augen und zeichnete die Linien von Stirn und Nase, Kinn und Lippen nach, mit der sicheren, vorsichtigen Hand eines Malers. Dann packte sie entschlossen ihre Nasenspitze und zog mit aller Kraft.
Roger zuckte automatisch zusammen, und Blut und Tränen liefen ihr
über das Gesicht, doch sie machte kein Geräusch. Sein Magen war sowieso schon zu einem winzigen, schmerzenden Kügelchen verknotet; jetzt stieg er ihm in den Hals und drückte gegen die Narbe, die der Strick hinterlassen hatte.
Sie verlagerte das Gewicht auf die Fersen und atmete tief durch, die Augen geschlossen, beide Hände auf ihre Gesichtsmitte gelegt.
Plötzlich wurde ihm bewusst, dass sie nackt war und er sie immer noch anstarrte. Er riss den Blick von ihr los, und das Blut schoss ihm heiß ins Gesicht. Er blickte unauffällig in Jamies Richtung, denn er hoffte, dass Fraser es nicht bemerkt hatte. Er hatte es nicht bemerkt – er war gar nicht mehr da.
Roger sah sich wild um, entdeckte ihn jedoch sofort. Seine Erleichterung, nicht erwischt worden zu sein, wich schlagartig einem Adrenalinstoß, als er sah, was Fraser tat.
Er stand neben einem Mann, der auf dem Boden lag.
Fraser ließ den Blick ganz kurz umherhuschen, um nach seinen Männern zu sehen, und Roger konnte die Anstrengung, mit der Fraser seine Gefühle unterdrückte, beinahe spüren. Dann hefteten sich Frasers leuchtend blaue Augen auf den Mann zu seinen Füßen, und Roger sah ihn ganz langsam einatmen.
Lionel Brown.
Ohne es eigentlich vorzuhaben, war Roger über die Lichtung geschritten. Wie ein Schlafwandler nahm er seinen Platz an Jamies rechter Seite ein und richtete seine Aufmerksamkeit ebenfalls auf den Mann am Boden.
Brown hatte die Augen geschlossen, doch er schlief nicht. Sein geschwollenes Gesicht war voller blauer Flecken, dazu vom Fieber gescheckt, doch der Ausdruck kaum verhohlener Panik war deutlich zu erkennen. Ein Ausdruck, den er völlig zu Recht trug, soweit Roger das beurteilen konnte.
Brown hatte die nächtliche Aktion nur deshalb als Einziger lebend überstanden, weil Arch Bug Ian MacKenzie um Haaresbreite davon abgehalten hatte, ihm den Schädel mit einem Tomahawk einzuschlagen. Nicht, weil er Hemmungen gehabt hätte, einen Verletzten umzubringen, sondern aus kaltem Pragmatismus.
»Dein Onkel wird Fragen haben«, hatte Arch gesagt und Brown stirnrunzelnd betrachtet. »Lass den hier so lange leben, dass er sie beantworten kann.«
Ian hatte kein Wort gesagt, sondern er hatte Arch Bug seinen Arm entzogen, auf dem Absatz kehrtgemacht und war wie Rauch im Schatten des Waldes verschwunden.
Jamies Gesicht war sehr viel weniger beredt als das seines Gefangenen, dachte Roger. Selbst er konnte aus Frasers Ausdruck nicht auf seine Gedanken schließen – doch das war auch kaum nötig. Der Mann war reglos wie ein Stein, schien aber dennoch von etwas Langsamem, Unausweichlichem
durchpulst zu sein. Einfach nur neben ihm zu stehen, war schon beängstigend.
»Was sagt Ihr, mein Freund?«, sagte Fraser schließlich an Arch gewandt, der weißhaarig und blutverschmiert auf der anderen Seite von Browns Trage stand. »Kann er die Reise fortsetzen, oder wird ihn das umbringen?«
Bug beugte sich vor und blickte die auf dem Rücken liegende Gestalt kühl an.
»Ich sage, er wird es überleben. Sein Gesicht ist rot, nicht weiß, und er ist wach. Wünscht Ihr, ihn mitzunehmen, oder möchtet Ihr ihn jetzt gleich befragen?«
Für den Bruchteil einer Sekunde hob sich die Maske, und Roger, der den Blick nicht von Jamies Gesicht abgewandt hatte, sah seinen Augen genau an, was er zu tun wünschte. Hätte Lionel Brown es auch gesehen, wäre er trotz seines gebrochenen Beins von seiner Trage aufgesprungen und davongelaufen. Doch seine Augen blieben hartnäckig geschlossen, und da sich Jamie und Arch auf Gälisch unterhielten, blieb es ihm unverständlich.
Ohne Archs Frage zu beantworten, kniete sich Jamie hin und
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