Ein Hauch von Schnee und Asche
Claire?« Ich drehte mich um und sah, dass die schweren Schritte zu Ian gehörten – schwer deshalb, weil er Lizzie Wemyss in den Armen trug.
»Lizzie! Was ist denn los? Hier, leg sie auf den Tisch.« Ich konnte sofort feststellen, was los war; das Malariafieber war zurückgekehrt. Sie war völlig schlaff, zitterte aber dennoch vor Kälte, und die Muskelkrämpfe schüttelten sie wie Gallert.
»Ich habe sie im Molkereischuppen gefunden«, sagte Ian und legte sie sanft auf den Tisch. »Der taube Beardsley kam herausgerannt, als wäre der Teufel hinter ihm her, hat mich gesehen und mich hineingezerrt. Sie hat auf dem Boden gelegen, das Butterfass umgekippt neben ihr.«
Das war sehr besorgniserregend – sie hatte seit einiger Zeit keinen Anfall mehr gehabt, aber zum zweiten Mal war die Attacke so plötzlich über sie gekommen, dass sie keine Hilfe mehr holen konnte, sondern sofort zusammengebrochen war.
»Das obere Bord im Schrank«, sagte ich zu Ian und drehte Lizzie hastig auf die Seite, um ihre Schnüre zu lösen. »Der blaue Tiegel – nein, der große.«
Er griff wortlos danach und öffnete das Gefäß schon, während er es mir brachte.
»Himmel, Tante Claire! Was ist das denn?« Er rümpfte die Nase über den Geruch der Salbe.
»Gallbeeren und Chinarinde in Gänseschmalz, unter anderem. Nimm etwas davon und fang an, ihr die Füße damit einzureiben.«
Er zog ein verwirrtes Gesicht, nahm vorsichtig eine Fingerspitze der rötlich grauen Creme und tat, was ich sagte. Lizzies kleiner nackter Fuß verschwand fast zwischen seinen großen Handflächen.
»Meinst du, sie wird wieder gesund, Tante Claire?« Er warf einen sorgenvollen Blick auf ihr Gesicht. Ihr Aussehen gab aber auch allen Grund dazu – ihre klamme Haut hatte die Farbe von Molke und war erschlafft, so dass ihre zarten Wangen vor Schüttelfrost bebten.
»Wahrscheinlich. Mach die Augen zu, Ian.« Ich hatte ihr Mieder gelockert
und zog ihr jetzt das Kleid, die Unterröcke, Schürzentasche und das Korsett aus. Ich warf eine alte Decke über sie, bevor ich ihr das Hemd über den Kopf zog – sie besaß nur zwei und würde nicht wollen, dass eins davon durch den starken Geruch der Salbe ruiniert würde.
Ian hatte gehorsam die Augen geschlossen, massierte ihr aber systematisch weiter die Salbe in die Füße. Seine Stirn war leicht gerunzelt, so dass sich seine Augenbrauen zusammenzogen, und dieses sorgenvolle Aussehen verlieh ihm für ein paar Sekunden eine flüchtige, aber verblüffende Ähnlichkeit mit Jamie.
Ich zog den Salbentiegel an mich, nahm etwas Salbe heraus, griff unter die Decke und begann, die dünnere Haut unter ihren Achseln damit einzureiben, dann ihren Rücken und ihren Bauch. Ich konnte die Umrisse ihrer Leber deutlich fühlen, eine große feste Masse unterhalb ihrer Rippen. Geschwollen und empfindlich, denn sie verzog bei meiner Berührung das Gesicht; ihre Leber war mit Sicherheit bereits dauerhaft geschädigt.
»Kann ich jetzt die Augen aufmachen?«
»Oh – ja, natürlich. Reib ihr die Beine ein, bitte, Ian.« Ich schob die Salbe wieder in seine Richtung und sah, dass sich in der Tür etwas bewegte. Einer der Beardsley-Zwillinge stand dort, hielt sich am Türrahmen fest und fixierte Lizzie mit seinen dunklen Augen. Es musste Kezzie sein; Ian hatte gesagt, »der taube Beardsley« hätte Hilfe geholt.
»Sie wird wieder gesund«, sagte ich laut zu ihm, und er nickte, dann warf er einen brennenden Blick auf Ian und verschwand.
»Wer war es, den du gerade angeschrien hast, Tante Claire?« Ian blickte zu mir auf, sicher ebenso sehr, um Lizzie gegenüber den Anstand zu wahren, wie aus Höflichkeit mir gegenüber; er hatte die Decke zurückgeschlagen, und seine großen Hände massierten die Salbe in die Haut über ihrem Knie. Seine Daumen kreisten sanft über die Rundungen ihrer Kniescheibe, deren Haut so dünn war, dass der perlmuttfarbene Knochen beinahe hindurchzuschimmern schien.
»Wer – oh. Manfred McGillivray«, sagte ich und erinnerte mich. »Verdammt! Das Blut!« Ich sprang auf und wischte mir hastig die Hände an meiner Schürze ab. Gott sei Dank hatte ich das Fläschchen verkorkt; das Blut darin war noch flüssig. Es würde sich aber nicht lange halten.
»Würdest du ihr auch die Hände und Arme einreiben, Ian? Ich muss das hier schnell erledigen.«
Er machte sich gehorsam daran zu tun, was ich sagte, während ich eilig Blutstropfen auf mehrere Objektträger verteilte und sie mit sauberen Glasscheiben verschmierte.
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