Ein Hauch von Schnee und Asche
an, trank gierig, dann wischte er sich höflich den Mund am Ärmel ab.
»Danke, Ma’am. Ich war in Hillsboro, um die… äh… die Sachen für Mr. Fraser zu holen.«
»Wirklich? Das erscheint mir aber weit«, sagte ich nachsichtig.
Ein Ausdruck tiefster Beklommenheit huschte über sein Gesicht. Er war ein hübscher Kerl, braun gebrannt und gut aussehend wie ein junger Faun mit dichten, dunklen Locken. Im Moment jedoch wirkte er beinahe gehetzt und sah sich nach dem Haus um, als fürchtete er, unterbrochen zu werden.
»Ich… ähm… nun ja, Ma’am, das hat etwas mit dem zu tun, worüber ich mit Euch sprechen möchte.«
»Oh? Nun…« Ich machte eine freundliche Geste, um ihm anzuzeigen, dass er es sich ruhig von der Seele reden sollte, und wandte mich ab, um mit meiner Arbeit zu beginnen, so dass er sich weniger befangen fühlte. Mir kam langsam ein Verdacht, was er mich fragen wollte, wobei mir aber nicht klar war, was Hillsboro damit zu tun hatte.
»Es… äh… nun, es hat mit Miss Lizzie zu tun«, begann er und verschränkte die Hände hinter dem Rücken.
»Ja?«, sagte ich ermutigend. Jetzt war ich mir beinahe sicher, dass ich mit meinen Mutmaßungen Recht hatte. Ich blickte zum westlichen Ende meines Gartens, wo Bienen fröhlich die großen gelben Dolden der Dauco pflanzen umschwärmten. Nun, immerhin war es besser als die zeitgenössischen Vorstellungen von Kondomen.
»Ich kann sie nicht heiraten«, platzte er heraus.
»Was?« Ich ließ meine Hacke ruhen, richtete mich auf und starrte ihn an. Er hatte die Lippen fest aufeinander gepresst, und jetzt sah ich, dass das, was ich für Schüchternheit gehalten hatte, sein Versuch gewesen war, die tiefe Traurigkeit zu maskieren, die seinen Gesichtszügen jetzt deutlich anzusehen war.
»Kommt besser mit und setzt Euch.« Ich führte ihn zu der kleinen Bank, die Jamie mir gebaut hatte und die im Schatten eines schwarzen Gummibaums stand, der die Nordseite des Gartens überragte.
Er setzte sich, ließ den Kopf hängen und steckte die Hände zwischen seine Knie. Ich setzte meinen breitkrempigen Sonnenhut ab, wischte mir das Gesicht mit meiner Schürze ab und steckte mir das Haar wieder ordentlich
hoch, während ich die kühle Frische der Tannen und Balsamfichten einatmete, die über uns auf dem Berg wuchsen.
»Was ist denn?«, fragte ich sanft, weil ich merkte, dass er nicht wusste, wo er anfangen sollte. »Habt Ihr Angst, dass Ihr sie vielleicht nicht liebt?«
Er warf mir einen verblüfften Blick zu, dann wandte er sich wieder der wissenschaftlichen Betrachtung seiner Knie zu. »Oh. Nein, Ma’am. Ich meine – ich liebe sie nicht, aber das spielt keine Rolle.«
»Nicht?«
»Nein. Ich meine – ich bin mir sicher, dass wir uns auf die Dauer lieb haben werden, das sagt meine Mutter auch. Und ich habe sie ja jetzt schon gern«, fügte er hastig hinzu, als fürchtete er, dass diese Worte beleidigend klangen. »Pa sagt, sie ist eine ordentliche Seele, und meine Schwestern hängen sehr an ihr.«
Ich machte ein unverbindliches Geräusch. Ich hatte von Anfang an meine Zweifel an diesem Arrangement gehabt, und allmählich klang es ganz danach, als wären sie berechtigt gewesen.
»Gibt es… vielleicht eine andere?«, fragte ich vorsichtig.
Manfred schüttelte langsam den Kopf, und ich hörte ihn fest schlucken.
»Nein, Ma’am«, sagte er mit leiser Stimme.
»Seid Ihr sicher?«
»Aye, Ma’am.« Er holte tief Luft. »Ich meine – es gab eine. Aber das ist jetzt alles vorbei.«
Das verwunderte mich. Wenn er beschlossen hatte, sich von diesem mysteriösen anderen Mädchen loszusagen – ob aus Angst vor seiner Mutter oder irgendeinem anderen Grund -, was hielt ihn dann davon ab, seine Heirat mit Lizzie in die Tat umzusetzen?
»Dieses andere Mädchen – ist sie zufällig aus Hillsboro?« Jetzt wurde alles etwas klarer. Als ich ihn und seine Familie beim Gathering kennen gelernt hatte, hatten seine Schwestern viel sagende Blicke ausgetauscht, als von Manfreds Besuchen in Hillsboro die Rede war. Sie hatten es damals schon gewusst, auch wenn Ute es nicht mal geahnt hatte.
»Aye. Das ist der Grund, warum ich in Hillsboro war – ich meine, ich musste dort hin, wegen der… äh… Aber ich hatte vor… Myra… zu besuchen und ihr zu sagen, dass ich Miss Wemyss heiraten würde und wir uns nicht mehr sehen könnten.«
»Myra.« Immerhin hatte sie also einen Namen. Ich lehnte mich zurück und klopfte nachdenklich mit dem Fuß auf den Boden. »Ihr hattet es vor
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