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Ein Hauch von Schnee und Asche

Ein Hauch von Schnee und Asche

Titel: Ein Hauch von Schnee und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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jemandem zeige. Aber wenn sie es sind – ich dachte, dann kann ich sie den Leuten zeigen, die mir Modell sitzen, und vielleicht Aufträge für weitere Miniaturen bekommen. Daran könnte ich zu Hause in Fraser’s Ridge arbeiten; alles, was ich brauchte, ist mein Malkasten und die kleinen Elfenbeinscheiben. Ich könnte die Gemälde nach Skizzen anfertigen; das Modell müsste nicht ständig wieder kommen.«
    Sie wies mit einer kurzen, erklärenden Geste auf die große Leinwand, an der sie gerade arbeitete und die Farquard Campbell zeigte. Er hatte große Ähnlichkeit mit einem ausgestopften Frettchen in seinem besten Anzug, umringt von zahlreichen Kindern und Enkelkindern, die zum Großteil im Moment noch weißliche Flecken waren. Sie hatte die Strategie entwickelt, die Kleinkinder einzeln von ihren Müttern herbeizerren zu lassen und ihre Gliedmaßen und Gesichtszüge hastig in den passenden Fleck hineinzuskizzieren, bevor die natürliche Zappeligkeit oder ein Wutausbruch der Kleinen dazwischenkam.
    Ian sah kurz auf die Leinwand, doch seine Aufmerksamkeit kehrte zu den Miniaturen ihrer Eltern zurück. Er stand da und betrachtete sie, ein leises Lächeln in seinem langen, schlichten Gesicht. Dann spürte er ihre Augen auf sich und blickte alarmiert auf.
    »Oh, nein, das tust du nicht!«
    »Ach, komm schon, Ian, ich will dich doch nur zeichnen«, redete sie auf ihn ein. »Es wird schon nicht wehtun.«
    »Och, das glaubst du «, entgegnete er und wich zurück, als sei der Stift,
den sie ergriffen hatte, eine Waffe. »Die Kahnyen’kehaka glauben, dass man Macht über eine Person bekommt, deren Abbild man besitzt. Das ist der Grund, warum die Medizinmänner falsche Gesichter tragen – damit die Dämonen, die die Krankheit hervorrufen, ihr wahres Gesicht nicht kennen und nicht wissen, wem sie schaden sollen, aye?«
    Der Tonfall dieser Worte war so ernst, dass sie ihn anblinzelte, um zu sehen, ob er scherzte. Es hatte nicht den Anschein.
    »Mmm. Ian – Mama hat dir doch die Sache mit den Keimen erklärt, oder?«
    »Aye, natürlich hat sie das«, sagte er in einem Tonfall, dem es an jeglicher Überzeugung fehlte. »Sie hat mir kleine Wesen gezeigt, die herumschwammen, und gesagt, sie wohnen in meinen Zähnen!« In seinem Gesicht regte sich kurzer Abscheu über diese Vorstellung, doch er ließ das Thema links liegen, um sich wieder dem vorliegenden Problem zu widmen.
    »Einmal ist ein französischer Reisender in das Dorf gekommen, ein Naturphilosoph – er hatte Zeichnungen dabei, die er von Vögeln und Tieren gemacht hatte, und das hat sie erstaunt -, aber dann hat er den Fehler begangen, dem Kriegshäuptling anzubieten, ein Bild von seiner Frau anzufertigen. Ich habe ihn mit Mühe heil aus dem Dorf bekommen.«
    »Aber du bist doch kein Mohawk«, sagte sie geduldig, »und wenn du einer wärst – du hast doch keine Angst davor, dass ich Macht über dich bekomme, oder?«
    Er wandte den Kopf und richtete einen plötzlichen, merkwürdigen Blick auf sie, der sie durchfuhr wie ein Messer ein Stück Butter.
    »Nein«, sagte er. »Nein, natürlich nicht.« Doch es lag kaum mehr Überzeugung in seiner Stimme als bei ihrem Gespräch über Keime.
    Dennoch trat er zu dem Hocker, den sie für ihre Modelle bereithielt und der im guten Licht der offenen Terrassentüren stand, und setzte sich hin, das Kinn erhoben und die Zähne zusammengebissen wie ein Mensch, der kurz vor seiner heldenhaften Exekution steht.
    Mit einem unterdrückten Lächeln ergriff sie den Skizzenblock und zeichnete, so schnell sie konnte, damit er nicht am Ende noch seine Meinung änderte. Er war ein schwieriges Sujet; seinen Gesichtszügen fehlte die handfeste, klare Knochenstruktur, die sowohl ihre Eltern als auch Roger besaßen. Und doch war es alles andere als ein sanftes Gesicht, selbst ohne die eintätowierten Pünktchen, die sich von seinem Nasenrücken über seine Wangen schwangen.
    Jung und faltenlos, und doch passte die Festigkeit seines Mundes – er war leicht schief, wie sie mit Interesse feststellte; wieso war ihr das noch nie aufgefallen? – zu einem viel älteren Menschen. Er war von Falten eingeklammert, die mit dem Alter noch viel tiefer werden würden, sich aber jetzt schon unverrückbar eingegraben hatten.
    Die Augen… sie verzweifelte fast daran, sie richtig zu treffen. Sie waren groß und braun und das Einzige an ihm, was wirkliche Schönheit besaß,
und doch würde man sie nie schön nennen. Wie die meisten Augen besaßen sie nicht nur eine

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