Ein Hauch von Schnee und Asche
Farbe, sondern viele – die Farben des Herbstes, dunkle feuchte Erde und knisterndes Eichenlaub und ein Hauch der untergehenden Sonne über trockenem Gras.
Die Farbe war zwar eine Herausforderung, aber eine, der sie sich stellen konnte. Doch der Ausdruck – er konnte sich sekundenschnell von solch argloser Liebenswürdigkeit, dass sie fast an Blödheit zu grenzen schien, in etwas verwandeln, dem man nicht gern in einer dunklen Seitenstraße begegnet wäre.
Derzeit befand sich der Ausdruck irgendwo zwischen diesen beiden Extremen, verlagerte sich aber plötzlich zum zweiten, und er richtete seine Aufmerksamkeit auf die offene Tür in ihrem Rücken und die dahinter liegende Terrasse.
Sie spähte erschrocken hinter sich. Es war jemand da; sie sah den Rand seines – oder ihres – Schattens, doch die Person, die ihn warf, war nicht zu sehen. Wer auch immer es war, begann zu pfeifen, ein zögerndes Hauchen.
Im ersten Moment war alles noch normal. Dann tat die Welt einen Ruck. Der Eindringling pfiff »Yellow Submarine« .
Das Blut sackte ihr aus dem Kopf, und sie schwankte und klammerte sich an die nächstbeste Tischkante, um nicht hinzufallen. Sie war sich dumpf bewusst, dass sich Ian wie eine Katze von seinem Hocker erhob, eins ihrer Palettenmesser ergriff und geräuschlos aus dem Zimmer in den Flur glitt.
Ihre Hände waren kalt und taub geworden; ihre Lippen ebenfalls. Sie versuchte, als Antwort ein Melodiestückchen zu pfeifen, doch es kam nur ein wenig Luft heraus. Sie stellte sich gerade hin, riss sich zusammen und sang die letzten Worte stattdessen. Die Melodie traf sie kaum, aber die Worte waren unverwechselbar.
Totenstille auf der Terrasse; das Pfeifen war verstummt.
»Wer seid Ihr?«, sagte sie deutlich. »Kommt herein.«
Der Schatten wurde langsam länger und zeigte ihr einen Kopf wie den eines Löwen, durch dessen Locken Licht fiel und auf den Steinen der Terrasse leuchtete. Der Kopf selbst kam vorsichtig um die Ecke der Tür herum in Sicht. Es war ein Indianer, sah sie mit Erstaunen, obwohl er weitgehend europäisch – und zerlumpt – gekleidet war, abgesehen von einem Wampum-Halsband. Er war hager und schmutzig und hatte dicht beieinander liegende Augen, die jetzt voll Neugier und so etwas wie Gier auf sie gerichtet waren.
»Bist du allein, Mann?«, flüsterte er heiser. »Dachte, ich hätte Stimmen gehört.«
»Das siehst du doch. Wer in aller Welt bist du?«
»Äh … Wendigo. Wendigo Donner. Du heißt Fraser, stimmt’s?« Er hatte sich jetzt ganz in das Zimmer geschoben, obwohl er sich immer noch argwöhnisch umsah.
»Das ist mein Mädchenname. Bist du -« Sie hielt inne, unsicher, wie sie die Frage stellen sollte.
»Ja«, sagte er leise und betrachtete sie auf eine beiläufige Weise von oben bis unten, die sich kein Mann des achtzehnten Jahrhunderts bei einer Dame angemaßt hätte. »Du doch auch, oder nicht? Du bist doch ihre Tochter, du musst ihre Tochter sein.« Er sprach mit unverkennbarer Intensität und rückte dichter an sie heran.
Sie glaubte nicht, dass er vorhatte, ihr etwas anzutun; er war nur furchtbar neugierig. Ian wartete es allerdings nicht ab; das Licht der Tür verdunkelte sich kurz, und dann hatte er Donner von hinten gepackt, und der Schreckensruf des Indianers erstarb unter dem Arm, der auf seine Kehle drückte, während ihn die Spitze des Palettenmessers unter dem Ohr stach.
»Wer seid Ihr, Halunke, und was wollt Ihr?«, verlangte Ian zu wissen und drückte Donner noch fester die Kehle zu. Die Augen des Indianers traten hervor, und er stieß leise Quäklaute aus.
»Wie soll er dir denn antworten, wenn du ihm die Luft abwürgst?« Dieser Appell an seine Vernunft bewog Ian, seinen Griff zu lockern, wenn auch widerstrebend. Donner hustete, rieb sich übertrieben die Kehle und musterte Ian voller Abneigung.
»Das war echt nicht nötig, Mann; ich hab ihr doch gar nichts getan.« Donners Blick wanderte von ihr zu Ian und zurück. Er wies mit einem Ruck seines Kopfes auf Ian. »Ist er…?«
»Nein, aber er weiß Bescheid. Setz dich. Du hast meine Mutter kennen gelernt, als sie entführt wurde, oder?«
Bei diesen Worten schossen Ians feine Augenbrauen in die Höhe, und er schloss die Finger fester um das Palettenmesser, das zwar biegsam war, aber eine scharfe Spitze hatte.
»Ja.« Donner ließ sich vorsichtig auf den Hocker sinken und hielt die Augen argwöhnisch auf Ian gerichtet. »Mann, die haben mich fast erwischt. Deine Mutter hat mir gesagt, ihr Alter wäre
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