Ein Hauch von Schnee und Asche
Tages. Ich konnte ihn schwer atmen hören, als ich eine Kerze am Kamin entzündete und neben das Bett trat.
Jocasta schlief fest. Sie lag auf dem Rücken, hatte die Arme elegant über der Bettdecke verschränkt und den Kopf weit zurückgelegt, so dass ihr strenges Gesicht mit der langen Nase sie so aristokratisch wie die Grabfiguren in der Kapelle von St. Denys erscheinen ließ. Ihr fehlte nur noch eine Krone und ein kleiner Hund, der zu ihren Füßen lag.
Ich lächelte bei dieser Vorstellung und dachte dabei, wie seltsam es doch war; Jamie schlief ganz genauso, flach auf dem Rücken, kerzengerade und mit verschränkten Händen. Brianna nicht; sie war von klein an eine wilde Schläferin gewesen. Genau wie ich.
Dieser Gedanke bereitete mir eine leise, unerwartete Freude. Ich wusste natürlich, dass ich ihr Teile von mir mitgegeben hatte, doch sie war Jamie so ähnlich, dass es oft eine Überraschung war, einen davon zu bemerken.
Ich blies die Kerze aus, kehrte aber nicht sofort ins Bett zurück. Ich benutzte Phaedres Bett in der Ankleidekammer, doch diese war ein heißer, stickiger kleiner Raum. Nach dem warmen Tag und dem Alkohol hatte ich einen trockenen Mund und dumpfe Kopfschmerzen; ich ergriff die Karaffe auf Jocastas Nachttisch, aber sie war leer.
Nicht nötig, die Kerze wieder anzuzünden; einer der Wandleuchter im Flur brannte noch, und sein schwaches Leuchten ließ mich die Umrisse der Tür erkennen. Ich drückte sie leise auf und lugte hinaus. Der Korridor war
voller Menschen – Sklaven, die vor den Türen der Schlafzimmer schliefen – und die Luft pulsierte sanft vom Schnarchen und der angestrengten Atmung einer großen Zahl von Menschen, die unterschiedlich tief in den Schlaf gesunken waren.
Doch am Ende des Korridors stand eine helle Gestalt und blickte durch das hohe Flügelfenster zum Fluss.
Sie musste mich gehört haben, drehte sich aber nicht um. Ich trat an ihre Seite und sah ebenfalls hinaus. Phaedre hatte sich bis auf ihr Hemd entkleidet und das Haar aus seinem Turban gelöst, so dass es ihr als weiche, dichte Masse um die Schultern fiel. Eine Seltenheit für eine Sklavin, solches Haar zu haben, dachte ich; die meisten Frauen trugen ihr Haar unter dem Turban oder Kopftuch sehr kurz, weil es ihnen sowohl an der Zeit als auch an Werkzeug fehlte, um es zu frisieren. Doch Phaedre war Leibdienerin; sie würde wohl etwas Freizeit haben – und zumindest einen Kamm.
»Möchtest du dein Bett zurück?«, fragte ich leise. »Ich bleibe noch eine Weile auf – und ich kann auf dem Diwan schlafen.«
Sie sah mich an und schüttelte den Kopf.
»Oh, nein, Ma’am«, sagte sie leise. »Dank Euch sehr; mir ist nicht nach schlafen.« Sie sah die Karaffe in meiner Hand und streckte die Hand danach aus. »Soll ich Euch Wasser holen, Ma’am?«
»Nein, nein, ich mache das schon. Ich würde gern etwas frische Luft schnappen.« Dennoch blieb ich weiter neben ihr stehen und blickte ins Freie.
Es war eine wunderbare Nacht voller Sterne, die tief und leuchtend über dem Fluss standen, ein feines Silberband, das sich durch die Dunkelheit schlängelte. Der Mond, eine schmale Sichel, stand schon tief auf seinem Weg hinter den Horizont, und ein oder zwei Lagerfeuer brannten zwischen den Bäumen am Fluss.
Das Fenster stand offen, und Insekten kamen in Schwärmen herein; eine kleine Wolke tanzte hinter uns um die Kerze in dem Wandhalter, und kleine geflügelte Wesen streiften mein Gesicht und meine Arme. Die Heimchen sangen, so viele, dass ihr Lied ein hohes, ununterbrochenes Geräusch bildete wie ein Bogen, der über eine Geigensaite streicht.
Phaedre bewegte sich, um es zu schließen – bei offenem Fenster zu schlafen, wurde als höchst ungesund betrachtet und war es wahrscheinlich auch, wenn man die vielen, durch Moskitos übertragenen Krankheiten in dieser Sumpfatmosphäre bedachte.
»Ich dachte, ich hätte etwas gehört. Dort draußen«, sagte sie und wies kopfnickend in die Dunkelheit unter uns.
»Oh? Wahrscheinlich mein Mann«, sagte ich. »Oder Ulysses.«
»Ulysses?«, sagte sie und zog eine verblüffte Miene.
Jamie, Ian und Ulysses patrouillierten systematisch im Freien und waren mit Sicherheit irgendwo rings um das Haus in der Nacht unterwegs, um für
alle Fälle ein Auge auf Hectors Mausoleum zu haben. Phaedre jedoch, die nichts vom Verschwinden des Goldes oder Jocastas mysteriösem Besucher wusste, konnte sich der erhöhten Wachsamkeit kaum bewusst sein, es sei denn, auf jene indirekte Weise, in
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